Im 21. Jahrhundert rivalisieren die USA und China um wirtschaftliche, politische und militärische Dominanz. Deutschland und Europa geraten zusehends in die Zwickmühle und werden zum Kollateralschaden dieser historischen Auseinandersetzung, wenn ihre Entscheidungsträger keine Handlungsoptionen entwickeln, um in dem härter werdenden geoökonomischen Wettbewerb ihre Interessen zu verteidigen. Ausführlicher dazu die Analyse von Josef Braml in der Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik (ZfAS).
▶ Internationale Konflikte werden zunehmend mit geoökonomischen Mitteln ausgetragen. Vor allem die USA und China verweisen geostrategisch auf das Gewicht ihrer Märkte. Die USA nutzen alle wirtschaftlichen Mittel, um den Aufstieg Chinas einzudämmen oder sogar zurückzudrängen. Die Wirtschaft ist nicht mehr das Ziel, sondern das Mittel zu einem geostrategischen Zweck. In dieser geoökonomischen Rivalität wird die Wirtschaft als Waffe eingesetzt.
▶ Vor allem international agierende deutsche Unternehmen sind ins Fadenkreuz geoökonomischer Strategien der Großmächte USA und China geraten. Deutschland ist eine der am stärksten verflochtenen und damit umso mehr von einer möglichen Deglobalisierung betroffenen Volkswirtschaften der Welt. Soweit Deutschland und seine Unternehmen von der Öffnung der Weltmärkte profitiert haben, drohen ihnen auch Verluste bei Abschottungstendenzen im Zuge des chinesisch-amerikanischen Machtwettbewerbs.
▶ Die Corona-Pandemie und Russlands Invasion in der Ukraine haben diesen Trend zur Deglobalisierung verstärkt. Immer mehr Unternehmen in den USA und Europa versuchen, auf Kosten der „Effizienz“ mehr „Resilienz“ zu erlangen, wie etwa die bisher international vernetzte „Just in Time“-Produktion. Dieses „Nearshoring“, „Reshoring“ oder „Friend Shoring“ bedeutet, dass westliche Unternehmen ihre Lieferketten aus China nach Hause verlagern. Einige Branchen, insbesondere im Technologiesektor, werden von den Regierungen in den USA und anderswo noch stärker unter Druck geraten, dasselbe zu tun. Insbesondere Washington sorgt dafür, dass Lieferketten, die für seine strategischen Industrien wichtig sind, unabhängiger von China werden.
▶ Doch die Rückkehr nationalistischer Machtpolitik und die damit verbundene Deglobalisierung überrascht die Verantwortlichen der Berliner Republik und Europas. Trotz offensichtlicher Warnsignale sind die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger der sogenannten freien Welt zu lange im liberalen Zeitgeist der deutschen Wiedervereinigung geblieben und haben am Selbstverständnis ihrer edlen Werteorientierung festgehalten.
▶ Nur die Europäische Union (EU) garantiert Marktmacht und Handlungsoptionen, damit die europäischen Länder weiterhin unabhängiger agieren und leben können. Worte wie „strategische Unabhängigkeit“ oder „Autonomie“ kaschieren bislang jedoch nur die fehlende Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit der EU, die zur Anpassung an diese neue Weltordnung dringend notwendig ist.
Dr. Josef Braml ist USA-Experte und European Direktor der Trilateralen Kommission. Sein neues Buch „Die transatlantische Illusion. Die neue Weltordnung und wie wir uns darin behaupten können“ ist beim Verlag C.H.Beck erschienen.