Trumps Anklage: Das politisch zweischneidige Schwert der US-Justitia

Indem Donald Trump als erster früherer Präsident in der US-Geschichte angeklagt wird, steht auch die Zukunft der Demokratie der westlichen Führungsmacht auf dem Spiel, analysiert Josef Braml in einem Gastbeitrag in der Neuen Zürcher Zeitung.

Dass eine Grand Jury in Manhattan den ehemaligen Präsidenten Donald Trump angeklagt hat, ist ein politisch heikler Präzedenzfall in der über 200-jährigen amerikanischen Geschichte – mit möglicherweise dramatischen politischen Konsequenzen.

Vorwurf der politischen Hexenjagd

Bei einer politisch heiklen Strafverfolgung eines ehemaligen Präsidenten, der für eine weitere Amtszeit kandidiert, sind höhere Maßstäbe anzusetzen – sonst läuft die amerikanische Demokratie Gefahr, massiven Schaden zu nehmen. Angesichts der ohnehin polarisierten US-Gesellschaft wäre der Bezirksstaatsanwalt von Manhattan, Alvin Bragg, gut beraten, neue, auch die amerikanische Bevölkerung überzeugende Beweise für eine schwere Straftat vorzulegen, wenn er einen sieben Jahre alten Fall wiederbelebt, auf den die Bundesstaatsanwälte nicht reagieren wollten.

Donald Trump wird einmal mehr versuchen, das Vorgehen des den Demokraten nahe stehenden Staatsanwalts als politische Hexenjagd zu instrumentalisieren. Die Demokraten hätten „das Undenkbare getan“, behauptete Trump postwendend, indem sie „das Justizsystem als Waffe missbrauchen“, um ihn, „den mit Abstand führenden republikanischen Präsidentschaftskandidaten“, als politischen Gegner auszuschalten. Ein gemeinsamer äußerer Feind könnte dem machiavellistisch versierten Trump einmal mehr helfen, Wahlkampfgelder zu sammeln und im eigenen politischen Lager die Reihen zu schließen – und damit seinen Konkurrenten bei den Vorwahlen den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Trumps möglicher Hauptrivale in den Vorwahlen, Ron DeSantis, sah sich bereits zum Schulterschluss mit Trump genötigt. Auf Twitter kritisierte er Bezirksstaatsanwalt Bragg dafür, dass er „das Gesetz ausdehnt, um einen politischen Gegner ins Visier zu nehmen“. Angesichts dieses „unamerikanischen“ Vorgehens versicherte Gouverneur DeSantis seinem Parteifreund Trump im Fall der Fälle beizustehen: „Florida wird angesichts der fragwürdigen Umstände bei einem Auslieferungsersuch nicht behilflich sein.“

Ein weiterer möglicher Präsidentschaftskandidat der Republikaner, der ehemalige Vizepräsident Mike Pence, der noch am 6. Januar 2021 beim Sturm auf das Kapitol wegen des von Trump aufgepeitschten Mobs um sein Leben fürchten musste, steht seinem damaligen Präsidenten in einem Interview für den Nachrichtensender CNN bei: Die beispiellose Anklage gegen einen ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten in einer Frage der Wahlkampffinanzierung ist laut Pence „eine Unverschämtheit“.

Trump hat bereits angekündigt, dass er unabhängig von strafrechtlichen Vorwürfen im Präsidentschaftsrennen bleiben würde. Das könnte durchaus auch im Sinne der Demokraten sein. Denn für den amtierenden Präsidenten Joe Biden, der sich anschickt, für die Demokraten erneut ins Rennen für die nächste Präsidentschaft zu gehen, wäre Trump der Wunschgegner. Die Gegnerschaft zum „geliebten Feind“ Trump würde nicht nur die Demokraten vereinen und an die Wahlurnen treiben, sondern auch die Republikaner und Unabhängige in unversöhnliche Lager spalten, wie die Niederlagen der Republikaner in den letzten Wahlen 2018, 2020 und 2022 gezeigt haben. In aktuellen Umfragen hätte der politisch angeschlagene Biden gegen Trump einmal mehr die Nase vorne, während er gegen Trumps möglichen innerparteilichen Hauptrivalen Ron DeSantis voraussichtlich den Kürzeren zöge.

Die USA mit sich selbst beschäftigt

Auch wenn die Umfragewerte im Präsidentschaftswahlkampf ähnlich wechselhaft wie das derzeitige Aprilwetter bleiben dürften, hätte eine juristische Auseinandersetzung einen großen Vorteil für die Demokraten: Ein Medienspektakel, sozusagen eine weitere Serie mit publikumswirksamen „Sex and crime“- Elementen und dem Medienstar Donald Trump in der Hauptrolle, würde die meisten Amerikanerinnen und Amerikaner von ihren Alltagssorgen ablenken: Vier von fünf Befragten einer aktuellen Umfrage des Wall Street Journal bezeichneten den Zustand der US-Wirtschaft als nicht so gut oder schlecht, und fast die Hälfte gab an, dass sie im nächsten Jahr eine Verschlechterung erwarten. Die mediale und politische Aufmerksamkeit wäre auch abgelenkt von den Defiziten der aktuellen Regierungspolitik Bidens und den damit verbundenen innerparteilichen Rivalitäten der Demokraten.

Einmal mehr ginge es bei den Präsidentschaftswahlen nicht um die gegenwärtige Politik, sondern um Donald Trump und die Zukunft der amerikanischen Demokratie. Solange Amerika mehr mit sich selbst und der Bewahrung seiner eigenen Demokratie beschäftigt ist, wird es der innenpolitisch angeschlagenen Führungsmacht weiterhin an Glaubwürdigkeit, Aufmerksamkeit und Ressourcen fehlen, außenpolitisch die westlichen Demokratien gegen autokratische Systemrivalen wie Russland China anzuführen.

Dr. Josef Braml ist USA-Experte, European Director der Denkfabrik Trilaterale Kommission und Autor von „Die transatlantische Illusion. Die neue Weltordnung und wie wir uns darin behaupten können“ (C.H.Beck).