Inflation Reduction Act: Drohender transatlantischer Handelskonflikt

Der Inflation Reduction Act der US-Regierung gefährdet die deutsche Industrie. Europa sollte seinerseits Gegenmaßnahmen aktivieren. Eine Analyse des USA-Experten Dr. Josef Braml für The Pioneer.

Am 1. Januar 2023 tritt der sogenannte Inflation Reduction Act (IRA) in Kraft, der im August 2022 von US-Präsident Joe Biden unterzeichnet wurde. Unter anderem soll mit Subventionen in Höhe von 370 Milliarden US-Dollar eine Energiewende hin zu erneuerbaren Energien staatlich forciert werden. Die US-Regierung will aber auch sicherstellen, dass etwa Solaranlagen und Elektrofahrzeuge nicht importiert, sondern in den Vereinigten Staaten gefertigt werden. In erster Linie gilt es, China zu verwehren, den grünen Energiemarkt und die damit verbundenen Lieferketten zu dominieren. Aber auch US-Verbündete, insbesondere europäische Volkswirtschaften, werden davon benachteiligt.

US-amerikanische Käufer neuer Elektroautos können künftig mit einer Steuergutschrift von bis zu 7.500 US-Dollar rechnen, aber nicht für Importe aus Übersee, sondern nur, wenn die Fahrzeuge in den Vereinigten Staaten, Kanada oder Mexiko hergestellt wurden. Mit dieser Ungleichbehandlung schafft die US-Regierung starke Anreize für europäische Unternehmen, ihre Fabriken über den Atlantik nach Nordamerika zu verlagern. Des Weitern locken in den USA nunmehr viel niedrigere Energiepreise als auf dem Alten Kontinent, der im Zuge der Russland-Sanktionen von einer die Produktion massiv verteuernden Energiekrise betroffen ist.

Um dagegen zu halten, hätten die Europäer mehrere Möglichkeiten: Sie könnten erstens gegen das protektionistische und marktverzerrende Vorgehen der US-Regierung vor dem Schiedsgericht der Welthandelsorganisation (WTO) klagen. Zweitens könnten sie ihrerseits protektionistische Gegenmaßnahmen in Stellung bringen – um damit drittens vielleicht doch noch eine einvernehmliche Lösung und Abwendung eines weiteren Handelskrieges zu bewirken.

Das Treffen des europäisch-amerikanischen Handels- und Technologierates zum US-Subventionsprogramm ergab keine Einigung. Der Vorsitzende des Handelsausschusses des Europäischen Parlaments, Bernd Lange, rechnet nicht mehr damit, dass die USA noch grundlegende Änderungen vornehmen und empfahl, dass die Europäische Union (EU) bei der WTO klagen sollte.

Zwar verstoßen die „Anreize“ des IRA gegen den Geist und vielleicht den Buchstaben der internationalen Handelsgesetze. Aber die EU wäre dennoch schlecht beraten, den Fall vor die WTO zu bringen. Denn Rechtsstreitigkeiten können im besten Fall Jahre dauern. Im schlimmsten Fall würde dieser Fall nie gelöst werden, weil das Berufungsgremium (Appellate Body) des Streitschlichtungsmechanismus der WTO nach wie vor kein Quorum von Richtern hat – wegen der langjährigen Blockadehaltung der USA. Ohnehin sind die Urteile des WTO-Streitschlichtungsmechanismus von den USA schon seit Längerem nicht mehr grundsätzlich anerkannt worden.

Deshalb werden die Europäer ihrerseits Schutzmaßnahmen erwägen müssen. Beim jüngsten EU-Gipfel beauftragten die Mitgliedstaaten die EU-Kommission, Gegenmaßnahmen zu erarbeiten. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wird Anfang 2023 konkrete Vorschläge vorlegen, ein Sondergipfel am 9. und 10. Februar 2023 darüber befinden.

In Washington werden diese Vorbereitungen durchaus ernst genommen. Hochrangige Vertreter des US-Finanzministeriums bemühen sich derzeit in Brüssel, Berlin und Paris um einen Kompromiss. Mit den Leitlinien zur Umsetzung des IRA signalisierte das Weiße Haus bereits eine gewisse Kompromissbereitschaft: Demnach sollten Steuergutschriften auch für Elektroautos gelten, deren Batteriekomponenten „von vertrauenswürdigen Handelspartnern“ stammen – also auch Batterien oder Batterieteile aus der EU einschließen. Bei den Batterie-Regeln heißt dann aber, dass das Fahrzeug „einen bestimmten Prozentsatz an kritischen Mineralien“ enthalten muss, die „in den Vereinigten Staaten extrahiert oder verarbeitet“ wurden – oder in einem „Land, mit dem die Vereinigten Staaten ein Freihandelsabkommen haben“. Das schlösse wiederum europäische Fahrzeuge aus.

Eine denkbare Kompromisslösung wäre, wenn die USA und EU bei der Beschaffung von Rohstoffen und Vorprodukten für wichtige Technologiesektoren zusammenarbeiteten, um die Abhängigkeit von China zu verringern. Ein derartiger „Rohstoff-Club“ könnte dann bei der Auslegung des IRA wie ein Freihandelsabkommen gewertet werden. Damit würden auch europäische Automobilhersteller von den Steuervorteilen in den USA profitieren.

Wenn die Biden-Regierung den Titel des transatlantisch umstrittenen Gesetzes wirklich ernst nähme, würde sie bei der Implementierung des Inflation Reduction Act diese oder andere flexiblere Auslegungen erwägen, um den Europäern besseren Markzugang zu gewähren. Denn mehr Wettbewerb erhöht bekanntlich nicht nur die Qualität, sondern reduziert auch die Preise – und damit die Inflation. Hingegen würde ein weitere transatlantischer Handelskrieg beide Seiten viel Kosten und die Inflation befeuern, die dies- und jenseits des Atlantiks die finanzwirtschaftliche und politische Stabilität gefährdet.

Dr. Josef Braml ist USA-Experte und Generalsekretär der Deutschen Gruppe der Denkfabrik Trilaterale Kommission. Sein neues Buch „Die transatlantische Illusion. Die neue Weltordnung und wie wir uns darin behaupten können“, ist nunmehr schon in der dritten Auflage beim Verlag C.H.Beck erschienen.