Die neue Weltunordnung

Der Ukraine-Krieg ist für unseren Kontinent ein Weckruf, dass er sich besser aufstellen muss. Das betont der deutsche Politikexperte Josef Braml in einem Interview mit Helmut L. Müller von den Salzburger Nachrichten.

Von einer Zeitenwende ist die Rede, gar von einem Epochenbruch. Die Invasion Russlands in der Ukraine hat massive Auswirkungen auf das ganze System der internationalen Beziehungen. Josef Braml zeigt in seinem neuen Buch „Die transatlantische Illusion“ (Beck Verlag, München 2022), wieso die Großmächte-Konkurrenz Europa zum Handeln zwingt.

Was sind die bisher absehbaren Konsequenzen des russischen Ukraine-Kriegs für die Weltordnung?

Josef Braml: Putins Krieg ist ein weiteres, allerdings drastisches Zeichen dafür, dass sich die Weltordnung gravierend ändert. Wir Europäer müssen uns dagegen wappnen, wenn wir nicht unsere Sicherheit und unseren Wohlstand verspielen wollen. Es ist nicht auszuschließen, dass China und Russland sich bei dieser Invasion abgesprochen haben. Der russische Präsident hätte sicherlich nicht losgeschlagen, wenn er nicht zuvor ein Signal der Zustimmung aus Peking bekommen hätte. Aus amerikanischer Sicht ist es ein äußerst bedrohliches Szenario, wenn Russland und China hier noch stärker kooperieren würden. Die USA sind schon fast überfordert damit, China in der wichtigen Zukunftsregion Asien in Schach zu halten – und jetzt sollen sie sich wegen Russland auch wieder stärker in Europa engagieren. Ich denke aber, dass Russland vor allem eine Bedrohung Europas sein wird und nicht so sehr eine Amerikas.

Bisher hat der Westen (NATO und EU) mit großer Geschlossenheit auf Russlands Angriffskrieg reagiert. Aber wird es bei dieser Einigkeit bleiben, wenn der Ukraine-Konflikt lange andauert?

Die Frage ist ja schon jetzt, wie geschlossen der Westen überhaupt ist. Das gilt zumindest dann, wenn man den Westen breiter definiert, was die US-Amerikaner gerne tun. Israel macht nicht mit bei den Sanktionen gegen Russland. Es hat sogar einer Firma auf die Finger geklopft, die der Ukraine dabei geholfen hätte, sich gegen russische Cyberattacken zu rüsten. Auch Indien ist nicht bei den Sanktionen an Bord, es kauft jetzt vielmehr billiges Öl von Russland. Wenn unsere Reaktion größere wirtschaftliche Kosten für uns verursacht (etwa mit einer steigenden Inflation auch in Amerika), ohne dass sich Putins Verhalten verändert, dann könnte die Einheitsfront bei den Sanktionen schnell bröckeln.

Noch rascher würde das passieren, wenn die Volksrepublik China sich dazu entschließen würde, Taiwan anzugreifen. Dann würde den Europäern schlagartig klar werden, dass die Hauptinteressen der USA heute nicht mehr auf dem europäischen Kontinent liegen, sondern in der asiatisch-pazifischen Region. Spätestens dann müssten wir aufwachen aus unserer transatlantischen Illusion, dass Amerika wie bisher verlässlich unsere Sicherheit garantiert und die gleichen Interessen hat wie wir.

Immer stärker zeichnet sich eine Frontstellung westliche Demokratien versus östliche Autokratien ab. Aber wie eng ist die „strategische Partnerschaft“ zwischen Russland und China wirklich?

Ich glaube, sie ist nicht so eng, wie es manchmal den Anschein hat. Die Russen haben kein Interesse daran, der Juniorpartner Chinas zu sein. Russland hat ja nicht nur Bedenken, dass die NATO zu weit nach Osten vorrückt. Es will auch nicht in Zentralasien von China bedrängt werden. Den Russen gefällt es gar nicht, dass China in dieser Region wirtschaftlich (durch die Neue Seidenstraße) und auch schon militärisch (durch gemeinsame Manöver) an Raum gewinnt. Darum ist die Verbindung zwischen Russen und Chinesen keineswegs so eng, wie es bei der Eröffnung der Olympischen Winterspiele in Peking dargestellt worden ist.

Auf welchen Feldern und mit welchen Mitteln wird der neue Systemwettbewerb zwischen China und den USA ausgetragen?

Putin betreibt noch Geopolitik alten Typs, ihm geht es um Räume. Beim Ringen zwischen US-Amerikanern und Chinesen kommt es künftig vor allem auf Geo-Ökonomie an, das heißt: auf die Kontrolle von Waren-, Finanz- und Datenströmen. Wirtschaft wird für geostrategische Zwecke als Waffe eingesetzt. Die USA werden alles tun, dass sie bei den digitalen Schlüsseltechnologien nicht von China überholt werden. Deshalb dürfte die Globalisierung zertrennt werden: Die Chinesen trachten danach, selbst stärker unabhängig von Amerika zu werden. Die Amerikaner nötigen westliche Firmen, China nicht weiter zu helfen.

Geraten die Europäer damit in die Zwickmühle?

Ja, allerdings. Wenn wir in diesem Konflikt nicht zerrieben werden wollen, brauchen wir einen starken Block Europa – politisch und wirtschaftlich, aber auch militärisch. Die Europäer müssen den Märkten eine Alternative zu amerikanischen Staatsanleihen bieten; und sie müssen den Euro endlich als globale Leitwährung etablieren. Dann könnten wir uns, wie die Amerikaner, in unserer eigenen Währung verschulden; und wir könnten uns eine eigene Internet-Infrastruktur und ein eigenes einsatzfähiges Militär leisten. Nur wenn die Europäer einen souveränen Pol in der multipolaren Welt bilden, können sie den eigenen Werten Gewicht verleihen.

Dr. Josef Braml ist Generalsekretär der Deutschen Gruppe der Trilateralen Kommission und Autor des Buches „Die transatlantische Illusion. Die neue Weltordnung und wie wir uns darin behaupten können“, das soeben beim Verlag C.H.Beck erschienen ist.