Während alle Welt auf den russischen Krieg in der Ukraine blickt, gerät etwas anderes in Vergessenheit: der ökonomische Kampf der USA insbesondere gegen China. In einem Gastbeitrag in der Pforzheimer Zeitung (PZ) zeigt der Politikwissenschaftler und USA-Experte Dr. Josef Braml, der am 2. Juni im PZ-Autorenforum zu Gast ist, die Risiken auf, die das Handeln von US-Präsident Biden birgt.
Die Aufmerksamkeit hiesiger Beobachter ist derart scharf auf Amerikas Haltung zu Putins Waffengang gegen die Ukraine fokussiert, dass ein anderer Kriegsschauplatz ausgeblendet wird: US-Präsident Joe Biden führt nach wie vor geo-ökonomische Waffen gegen Freund und Feind ins Feld, um wirtschaftliche Vorteile für sein Land zu erzwingen. Donald Trumps kurzsichtige „Amerika First“-Politik wird von Biden weitergeführt – mittel- und langfristig auch zum Schaden Amerikas und der Welt.
Blick gen Osten
Während Russland bislang mit härteren westlichen Sanktionen im Energie-Bereich verschont wird, nicht zuletzt, weil sie auch mittelbare, das US-Wirtschaftswachstum bremsende Rückwirkungen hätten, nimmt Biden umso mehr Amerikas Hauptrivalen China ins Visier.
Den USA ist weiterhin jedes Mittel recht, um den Aufstieg Chinas einzudämmen oder gar zurückzudrängen. In diesem geo-ökonomischen Wettbewerb ist freies Wirtschaften nicht mehr das Ziel, sondern das Mittel zum geostrategischen Zweck. Wirtschaft wird als Waffe eingesetzt.
Für Europa kann das gravierende Folgen haben, da unsere Wirtschaft stark mit China vernetzt ist. Und welche Konsequenzen eine Entkoppelung kurz- und mittelfristig hätte, konnte man in Ansätzen bereits im Zuge der COVID-19-Krise besichtigen. Als zu Beginn der Pandemie die Container aus China ausblieben, fehlten schnell wichtige Grundstoffe und Alltagsprodukte, auf denen eben allzu oft „Made in China“ steht. Und als die Wirtschaft langsam wieder in Gang kam, führten die nach wie vor gestörten Lieferketten zu erheblichen Nachschubproblemen – und zu Inflation.
Die westlichen Staaten haben ihre Geldmenge in den letzten Jahren drastisch ausgedehnt. Das lief ohne hohe Inflationsraten ab, weil es eine große Warenelastizität gab. Die amerikanische Notenbank (Fed, kurz für Federal Reserve) und die Europäische Zentralbank (EZB) konnten gar nicht so viel Geld drucken, als dass dem durch Produktionssteigerungen nicht ein entsprechendes Warenangebot hätte gegenübergestellt werden können. Wo das nicht ging, etwa bei Immobilien, schossen die Preise in die Höhe. Würde man jetzt im Sinne Washingtons eine weitere Entflechtung der westlichen Volkswirtschaften und Chinas anstreben, würde diese Elastizität erheblich verringert. Die Folge wären dauerhaft hohe Inflationsraten, also ein Spiel mit dem Feuer. Im Interesse Europas liegt das nicht.
Die USA stecken jedoch auch in einem Dilemma: Einerseits ist ihnen daran gelegen, durch lockere Geldpolitik der US-Notenbank Inflation zu begünstigen und ihre Währung zu schwächen, um ihre exorbitanten Schulden loszuwerden und Vorteile beim Export zu erwirken. Andererseits stößt diese Strategie an ihre Grenzen, wenn internationale Marktteilnehmer beginnen, an der Stabilität der Währung zu zweifeln.
Die US-Notenbank gilt zwar als unabhängig, ist aber auch angehalten, die Bedürfnisse des amerikanischen Staates und der US-Wirtschaft zu berücksichtigen. So sorgte die Fed während des Zweiten Weltkrieges mit niedrigen Zinsen dafür, dass die Regierung ihre Kriegsausgaben finanzieren konnte. Indem sie massiv Geld druckt, sprich US-Staatsanleihen kauft, die vom Ausland nicht mehr finanziert werden, und damit die Zinsen niedrig hält, versucht die US-Notenbank seit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2007/08 die US-Wirtschaft am Laufen zu halten.
Finanzielle Kernschmelze?
Indem die Fed seitdem weiterhin mit unvorstellbaren Summen Liquidität zur Verfügung stellt und damit die Zinsen niedrig hält, konnte sie bislang eine Kernschmelze im Banken- und Finanzsystem verhindern. Denn der Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik ist heikel, er gleicht dem Versuch, Heroin-Abhängige von einem Entzug zu überzeugen. Dementsprechend nervös bis panisch reagieren denn auch die vermeintlich „rationalen“ Marktteilnehmer immer dann, wenn die Notenbank auch nur die Möglichkeit einer Reduzierung der bislang gelieferten Quantität, sogenanntes „tapering“, andeutet.
Wenn die US-Notenbank anstelle ihrer bisherigen „quantitativen Lockerung“ nun wie angekündigt weniger Anleihen und Kredite aufkaufte, würden US-Unternehmen, die mit dem billigen Geld noch mehr oder weniger gut über die Runden kommen, in große finanzielle Schwierigkeiten geraten. Zudem könnte ein merklich erhöhtes Zinsniveau bei privaten Kreditnehmern, die wegen immer schlechter bezahlter und prekärer Arbeitsverhältnisse über ein geringes Einkommen verfügen, einen „Zahlungsschock“ auslösen, wenn der höhere Zinssatz die Rückzahlungslast spürbar erhöht. Sollte die in vielen US-Haushalten wegen der COVID-19-Pandemie und den hohen Energiepreisen zusätzlich angespannte wirtschaftliche Lage noch durch Zinserhöhungen verschlechtert werden, dann würden wieder in größerem Ausmaß Kredite notleidend werden, und das würde einmal mehr die Gefahr einer Immobilien- und damit Finanzkrise heraufbeschwören.
Die Hoffnungen Amerikas ruhen also weiterhin auf der US-Notenbank, die mit ihrem Geldsegen dafür sorgt, dass der amerikanische Wirtschaftstanker nicht auf Grund läuft. Damit steigt das Inflationsrisiko oder das Risiko von Blasenbildungen an den Aktienmärkten, die zu einem weiteren Crash führen könnten. Wer die Börsenwerte einiger aktuell hoch gehandelter US-Unternehmen für bare Münze nimmt, ignoriert die Tatsache, dass die aktuellen Kurse an den Börsen nicht zuletzt auch dank der Geldschwemme der US-Notenbank nach oben befördert wurden und die „Werte“ sich beim Platzen einer möglichen Blase an den US-Aktienmärkten als weitere Illusion herausstellen könnten.
Doch dieser C(r)ash-Kurs wird wohl oder übel weitergeführt werden müssen, das zeigen auch die jüngsten Signale der Fed. Denn auch der amerikanische Staat würde angesichts des ohnehin schon atemberaubenden Schuldenbergs durch höhere Zinsen noch schneller die bereits drohende Handlungsunfähigkeit erreichen.

Dr. Josef Braml ist Generalsekretär der Deutschen Gruppe der Trilateralen Kommission und Autor des Buches „Die transatlantische Illusion. Die neue Weltordnung und wie wir uns darin behaupten können“, das soeben beim Verlag C.H.Beck erschienen ist.