„In ihrer wirtschaftlichen Notlage werden die USA versuchen, aus der Abhängigkeit ihrer Verbündeten in Europa und Asien Kapital zu schlagen.“
Von einem möglichen Machtwechsel in Washington versprechen sich viele Entscheidungsträger in Deutschland und Europa eine Entspannung der transatlantischen Beziehungen. Doch sie liegen falsch, wie der USA-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik Josef Braml in seinem Gastbeitrag für das Magazin „Die Wirtschaft“ analysiert.
Trumps unprofessionelles Krisenmanagement in der Corona- und Wirtschaftskrise könnten die Experimentierlaune der Amerikaner dämpfen und ihr Sicherheitsbedürfnis erhöhen, und damit dem steteren Demokraten Joe Biden in die Karten spielen. Das zumindest ist die Hoffnung vieler deutscher Beobachter. Erinnert sie doch der ehemalige Vizepräsident Barack Obamas wehmütig an das globale, multilaterale Krisenmanagement der Vorgänger-Regierung.
Doch es ist genau jene, in ihren sozio-ökonomischen Folgen bis heute nicht ganz bewältigte Wirtschafts- und Finanzkrise 2008, die die politischen Koordinaten in den USA verschoben und Trumps Wahl begünstigt hat. Zudem wurden durch maßloses Finanzgebaren, vor allem der US-Notenbank, die Mittel verbraucht, die für die Bewältigung der nun absehbaren, viel größeren Wirtschaftskrise notwendig wären.
Noch knapper werdende Ressourcen werden den Verteilungskampf und die politische Radikalisierung in Washington zusätzlich befeuern und umso heftigere Auswirkungen auf die US-Außenpolitik haben. Bereits heute zeigt sich Widerstand gegen den seit dem Zweiten Weltkrieg geltenden international engagierten außenpolitischen Kurs der USA. Das gilt auf beiden Seiten des politischen Spektrums, vor allem unter der demokratischen Wählerschaft Bidens, um die auch Trump buhlt.
Die traditionellen, den Gewerkschaften nahestehenden Demokraten befürchten insbesondere, dass Mittel für internationale beziehungsweise militärische Zwecke verbraucht werden und somit für innere soziale Belange fehlen. Transatlantische Lastenteilung und Protektionismus in der Handelspolitik werden insbesondere von demokratischer Seite gefordert – nicht zuletzt auch in der amerikanischen Legislative. So war der Widerstand der Demokraten im Kongress ursächlich dafür, dass die transatlantischen Freihandelsgespräche (TTIP) nicht, wie von US-Vizepräsident Biden seinerzeit angekündigt, „mit einer Tankfüllung“ zu Ende gebracht werden konnten.
Nicht Europa, sondern Asien steht im Fokus der US-Politik. Das gilt auch für Joe Biden.
Ohnehin war für Präsident Obama und seinen Vize Biden zum Verdruss der Europäer die „Hinwendung nach Asien“ wichtiger, also die Transpazifische Partnerschaftsinitiative (TPP), mit der sie China handelspolitisch einzudämmen versuchten. Von ihren Alliierten forderten sie den nötigen wirtschaftlichen Tribut dazu. Das würde sich wohl auch unter einem Präsidenten Biden kaum ändern.
Mittlerweile ist der internationale Verteilungskampf um knapper werdende Ressourcen härter geworden. Der transatlantische Streit um die 5G-Technologie des chinesischen Anbieters Huawei ist nur die Spitze des Eisbergs grundlegender Rivalitäten im Bereich Geo-Technologie. „Big Data“ und die Fähigkeit, große Datenmengen mit künstlicher Intelligenz für wirtschaftliche Entwicklung sowie politische und militärische Macht nutzbar zu machen, sind die eigentlichen „game changer“. Denn sie werden den Ausschlag darüber geben, wer im künftigen wirtschaftlichen und militärischen Wettbewerb führen und dann auch die Spielregeln, die Welt(wirtschafts)ordnung, in seinem Interesse bestimmen wird.
Wenn sich Europa selbst kein starkes Militär leistet, muss es für die „Pax Americana“ zahlen.
Staaten setzen im geo-ökonomischen Wettbewerb kombiniert ihre Wirtschafts- und Militärmacht als kompetitiven Wettbewerbsvorteil ein. In den Auseinandersetzungen zwischen den USA, China und Europa geht es heute immer mehr um die Kontrolle von Strömen: insbesondere von Finanz-, Energie-, Industriegüter- und Datenströmen. Dominante Staaten wie die USA und China werden auch weiterhin ihre Marktgröße und die Position von marktmächtigen Firmen im globalen Wirtschaftsgefüge zu nutzen wissen, um ihre geostrategischen Ziele zu forcieren. Umgekehrt lässt sich Militärmacht in wirtschaftliche Vorteile ummünzen.
Wegen ihrer durch die Pandemie verschärften wirtschaftlichen Notlage und enormen Verschuldung werden die USA umso mehr versuchen, aus der ökonomischen und insbesondere militärischen Abhängigkeit ihrer Verbündeten in Europa und Asien Kapital zu schlagen. Wer sich selbst kein einsatzfähiges Militär leistet, muss wohl oder übel Tribut für die Pax Americana zollen – in der Währungs- oder Handelspolitik dafür zahlen. Um das Wohlwollen der Schutzmacht zu erwirken, dürfen Verbündete amerikanische Rüstungsgüter wie Kampfflugzeuge kaufen, damit technologisch abhängig bleiben und zudem das Handelsdefizit der USA verringern helfen.
Von diesem transaktionalen Nullsummendenken, das auch Chinas Sicherheits- und Wirtschaftsberater leitet, sind nicht nur die im Militärsektor tätigen europäischen Unternehmen betroffen. International agierende deutsche Unternehmen sind insbesondere in das Fadenkreuz geoökonomischer Strategien der Großmächte USA und China geraten. Denn Deutschland ist eine der international verflochtensten und somit am meisten verwundbaren Volkswirtschaften der Welt.
In dem immer dominanter werdenden geoökonomischen Denken der Weltmächte – der USA und nicht zuletzt auch Chinas – sind wirtschaftliche Verflechtung und weltweite Arbeitsteilung nicht mehr notwendigerweise Garant für Wohlstand und Frieden. Stattdessen werden sie zum Risiko, da Ungleichgewichte in der gegenseitigen Abhängigkeit ausgenutzt werden können. Wertschöpfungsketten und Handelsbeziehungen sind „weaponizeable“ geworden: sie werden zum Objekt geostrategischer Ambitionen.
Nur ein einiges Europa ist in der Lage, seine Interessen selbstbestimmt zu vertreten.
Deutsche und europäische Entscheidungsträger müssen sich auf härtere Marktbedingungen einstellen und Strategien dazu entwickeln, wie sie ihre Staaten und Unternehmen angesichts dieser Veränderungen ausrichten. Es ist höchste Zeit, dass Europa seine Rhetorik (Stichwort: „geopolitische Kommission“) in Taten umsetzt, um die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union zu verbessern. Denn nur dieser supranationale Rahmen gewährt europäischen Staaten die nötige Souveränität, um in der neuen Weltordnung, selbstbestimmt zu wirtschaften und zu leben.
Dr. Josef Braml leitet das Amerika-Programm bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und ist Autor des soeben neu aufgelegten Buches „Trumps Amerika – Auf Kosten der Freiheit“. Aktuelle Analysen veröffentlicht er auch auf seinem Blog „usaexperte.com“.