Amerikas außenpolitischer Kurs nach den Wahlen

Josef Braml, Politologe und Amerika-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, sieht einer zweiten Amtszeit Trumps zwar kritisch entgegen. Dennoch würde unter Biden nicht alles anders.

In knapp elf Wochen, am 3. November, werden die Amerikaner bei den Präsidentschafts- und Kongresswahlen ihre neue Regierung wählen und damit auch über den künftigen innen- und außenpolitischen Kurs der Weltmacht entscheiden. Im Interview mit der Pforzheimer Zeitung gibt der USA-Experte Josef Braml einen Ausblick, auf welche möglichen Szenarien sich deutsche und europäische Entscheidungsträger nach den US-Wahlen einstellen können.

Pforzheimer Zeitung: „Der einzige Weg, wie wir diese Wahl verlieren werden, ist, wenn die Wahl manipuliert wird“ – dieser Satz stammt von Donald Trump, der bereits sagte, eine Niederlage im November nicht zu akzeptieren. Ist Trump der neue Lukaschenko?

Josef Braml: Das ginge dann doch etwas zu weit. Wir haben es bei dem einen mit einem Führer eines autokratischen Regimes zu tun, beim anderen mit einem Mann, dessen Persönlichkeit autoritäre Züge aufweist und ein demokratisches System auf die Probe stellt. Trotz der offensichtlichen Defekte der US-Demokratie kann Trump im Gegensatz zu Lukaschenko nicht durchregieren. Politische Macht wird in den USA kontrolliert durch die berühmten checks and balances. Dazu gehört, dass es neben dem Präsidenten einen mächtigen Kongress mit zwei Kammern gibt sowie Gerichte. Des Weiteren werden Zuständigkeiten zwischen den Bundesstaaten und Washington aufgeteilt. Nicht zuletzt hat jeder sein Amt nur auf Zeit. Und bei der nächsten Wahl steht nicht schon vorher fest, dass Trump wieder gewählt werden wird.

Sie sehen also kein Wahlfiasko auf die Amerikaner zukommen, falls Trump die Wahl verliert?

Doch, diese Gefahr sehe ich. Für ein Wahlfiasko braucht es Trump nicht unbedingt. Das hat es auch vorher schon gegeben. Man denke an das Jahr 2000, als die Lage durch einen Spruch des Obersten Gerichts entschärft wurde und George W. Bushs Kontrahent Al Gore dieses Urteil anerkannte. Es ist ja keine Neuigkeit, dass Amerika zwar in vielen Bereichen die Welt anführt, aber die Organisation seiner Wahlen nicht den OECD-Standards entspricht. Natürlich kommt dann noch erschwerend Trumps Naturell dazu: Wenn er nicht der Größte, Schönste und Siegreichste ist, dann kann das nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Diese Sichtweise findet aber viele Unterstützer, die ihn schon einmal ins Amt gewählt haben. Trumps Anhänger würden vermutlich auf die Barrikaden gehen, wenn ihr Volkstribun knapp verlieren sollte. Trump baut bereits vor, indem er die Briefwahl diskreditiert.

Apropos: Wer gewinnt die Wahl?

In diesem Moment sieht es nicht gut aus für Trump, aber wir haben noch viele Wochen bis zur Wahl. Es kann noch sehr viel passieren. Das kann heute niemand seriös einschätzen.

Würde unter Joe Biden als Präsident außenpolitisch alles besser werden?

Der Ton würde ein anderer werden, aber viele hausgemachte Probleme Amerikas bleiben bestehen. Sie haben Trump überhaupt erst ins Amt gebracht. Wenn Sie zum Beispiel die Handelspolitik nehmen, würde Biden vermutlich nur um den Preis gewählt werden, dass er genauso protektionistisch auftritt wie Trump. Viele der hart umkämpften Bundesstaaten liegen im sogenannten Rostgürtel, der ehedem prächtige Industriestaaten umfasst, die jetzt mit hoher Arbeitslosigkeit zu kämpfen haben. Deren Wähler wollen Schutz vor der internationalen Konkurrenz. Das hat auch Biden erkannt. Insbesondere die Auseinandersetzung mit China würde auch unter Biden weitergehen, wenn nicht sogar noch verschärft werden. Auch die Trump’sche Offensive, mehr Verteidigungsausgaben von den Europäern und insbesondere von den Deutschen zu fordern, würde Biden weiterführen – vielleicht nicht ganz so harsch im Ton, aber Lastenteilung wird definitiv ein Thema bleiben.

Würde sich innenpolitisch etwas ändern unter Biden?

Das hängt davon ab, wie die Kongresswahlen ausgehen, die ebenso am 3. November stattfinden werden. Sollte es eine große Welle geben und die Demokraten nicht nur das Weiße Haus, sondern auch die Mehrheit im Abgeordnetenhaus und Senat gewinnen, dann wären mehrere Änderungen denkbar, etwa in der Sozialpolitik. Aber in der Regel wird der Präsident in vielen Politikfeldern durch unterschiedliche Mehrheiten in einer oder in beiden Kammern des Kongresses blockiert, so dass viele innenpolitische Vorhaben scheitern.

Verkraftet die Welt eine weitere Amtszeit Trumps?

Bei Trump wissen wir, woran wir sind. Wir sollten uns aber auch für den Fall einer Biden-Regierung keinen Illusionen hingeben. Wenn wir künftig nicht großzügiger für Amerikas Schutzleistungen bezahlen, dann werden wir wohl mit Nachdruck daran erinnert werden. Die Amerikaner werden deutlich machen, dass Trittbrettfahren nicht mehr hingenommen wird. Und die nächste US-Regierung – ganz egal, ob unter Trump oder Biden – wird uns zwingen, uns zwischen den USA und China zu entscheiden. Das sehen wir beispielsweise schon im Fall des chinesischen Anbieters Huawei. Wir müssen wohl auf viele Geschäfte mit China verzichten, um weiterhin mit den USA im Geschäft bleiben zu dürfen. Unabhängig vom Ausgang der Wahl wird Amerika die Globalisierung weiterhin kritisch beäugen.

Also ist es für den Rest der Welt egal, wer Amerika künftig regiert.

Nein. Trump hat sehr viel Schaden angerichtet und würde in einer zweiten Amtszeit sicher noch mehr nationale und internationale Ordnungsstrukturen einreißen. Unter Biden nähme Amerikas mutwillige Zerstörung etwa der Welthandelsorganisation und der Vereinten Nationen ein Ende. Er würde die regelbasierte Ordnung, die die USA nach zwei desaströsen Weltkriegen aufgebaut haben, sicherlich erhalten wollen. Trump hingegen will Amerikas Macht nicht durch internationale Regeln beschneiden lassen. Er lebt in einer Welt, in der nicht die rule of law, sondern die Macht des Stärkeren zählt, in der Staaten keine Freunde, sondern nur Einzelinteressen haben. In Trumps Nullsummendenken können er und Amerika nur gewinnen, wenn alle anderen verlieren. Wer so denkt, der braucht keine Alliierten. Und genau so geht Trump vor. Er arbeitet daran, das zu zerstören, was Amerika auch im Vergleich zu China auszeichnet: Allianzen. Biden würde wieder mehr auf Alliierte zugehen – ihnen aber auch deutlich machen, wozu sie gebraucht werden.

Dr. Josef Braml leitet das Amerika-Programm bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und ist Autor des soeben neu aufgelegten Buches „Trumps Amerika – Auf Kosten der Freiheit“. Aktuelle Analysen veröffentlicht er auch über seinen Blog „usaexperte.com“.