Eine systematische Bestandsaufnahme der Anti-Terrorismusgesetze und Machtbefugnisse der G20-Staaten 20 Jahre nach 9/11 von Josef Braml mit einem Vorwort von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht
Die Terrorangriffe auf das World Trade Center und das Pentagon zerstörten die Symbole wirtschaftlicher bzw. militärischer Macht und das Sicherheitsgefühl der westlichen Welt. Mehr noch als die Angriffe selbst haben die Gegenreaktionen, vor allem auch der westlichen Staaten, jene Freiheiten eingeschränkt, die sie damit eigentlich verteidigen wollten.
Als Reaktion auf die Terroranschläge des 11. September 2001 haben fast alle der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) jeweils Anti-Terrorismus-Gesetze verabschiedet, die zum Schutz ihrer Bürger gleichwohl bis heute auch deren persönliche Freiheitsrechte einschränken und die Befugnisse der Exekutive, insbesondere der Strafverfolgungsbehörden, im Namen der nationalen Sicherheit erweitern. Während in autokratischen Regimen Parlamente und Gerichte ohnehin wenig Macht- und Kontrollbefugnisse haben, ist bei einer zur nationalen Krise deklarierten Terrorismusbedrohung auch in demokratischen Staaten die Gewaltenkontrolle eingeschränkt, die eigentlich individuelle Freiheitsrechte sichern sollte.
Der vergleichende Fokus dieser Studie ist auf nationale Gesetze und Maßnahmen gerichtet: ob in den untersuchten Ländern entweder strafrechtliche Regelungen modifiziert oder neu geschaffen wurden, neue Militärgesetzgebungen den rechtlichen Rahmen bilden oder gar im rechtsfreien Raum gehandelt worden ist. Demzufolge sind die Maßnahmen von Staaten entweder auf die Strafverfolgung begangener Straftaten oder vielmehr der Prävention möglicher Attentate gerichtet.
Die Studie ergab eine Reihe bedenklicher Ergebnisse und ermöglicht vorausschauende Schlussfolgerungen: Politisch Verantwortliche der meisten untersuchten Länder haben nach dem 11. September 2001 (oder weiteren Attentaten) die Terrorgefahr als eine für den Staat existenzielle Bedrohung überhöht und damit einen Ausnahmezustand geschaffen. Im Kampf oder gar „Krieg“ gegen den Terrorismus wurden vielerorts im Strafgesetz neue Straftatbestände geschaffen und höhere Strafmaße verhängt. Mancherorts wurde sogar Kriegsrecht angewendet; die USA haben auf ihrem Marinestützpunkt Guantanamo sogar eine rechtsfreie Zone geschaffen.
Demensprechend umfassen auch die vermeintlichen Sicherheitsvorkehrungen der einzelnen Länder ein breitets Spektrum. Selbst in demokratischen Ländern reichen sie von rechtsstaatlich und strafrechtlich begründeten polizeilichen Maßnahmen bis hin zur völkerrechtswidrigen Entführung und Folter von Terrorverdächtigen. Autokratische Regime wie Russland, China, aber auch die Türkei nutzen den „Krieg gegen den Terror“ weiterhin als Rechtfertigung, um mit allen Mitteln auch die Opposition in ihren Ländern zum Schweigen zu bringen.
Dem historischen Gedächtnis an die Schrecken vorhergehender Militärregime geschuldet, verteidigen dagegen jüngere Demokratien wie Argentinien und Brasilien in Südamerika sowie Japan und Südkorea in Ostasien heute umso mehr ihre persönlichen Freiheitsrechte und deren Schutz durch Gewaltenkontrolle. Bis heute haben die Verantwortlichen dieser Länder auch internationalem Druck, vor allem der USA, mehr oder weniger widerstanden, schärfere Vorgaben zur Terrorismusbekämpfung zu implementieren.
In den meisten anderen Ländern wurden die Antiterrorgesetze angesichts der neuen Gefahrenlage zügig, gleichwohl wegen der gravierenden Freiheitsbeschränkungen zunächst nur für befristete Zeit erlassen. Doch selbst 20 Jahre später sind diese Maßnahmen immer noch nicht zurückgenommen worden. Viele der in einer Ausnahmesituation verabschiedeten Gesetze und Anordnungen haben weiterhin Bestand und sind in der Folge – teilweise auch als Reaktion auf weitere Terroranschläge – sogar noch erweitert worden.
Nicht zuletzt auch in westlichen Ländern sind viele der ursprünglich zeitlich befristeten, weil massiven Eingriffe in die Privatsphäre, etwa zur Überwachung der Telekommunikation, die Speicherung von Telekommunikationsdaten oder die Erfassung biometrischer Merkmale, weiterhin in Kraft und in dauerhaftes Recht überführt und normalisiert worden.
Diese Befunde sind umso bedenkenswerter, zumal sie auch nahelegen, dass zusätzliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr, etwa die gravierenden Freiheitsbeschränkungen im Zuge der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, ebenso fortdauern könnten und die seit dem 11. September 2001 gefährdete Balance von Sicherheit, Freiheit und Demokratie noch stärker ins Wanken bringen dürften.
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