„Europäer könnten selbstbewusster auftreten“

USA-Experte Josef Braml erläutert im Interview mit der Fachzeitschrift „Die Bundeswehr“ die aktuelle Rolle der USA in der globalen Sicherheitsarchitektur und daraus resultierende Auswirkungen auf Europa.

Die Bundeswehr: Derzeit wird viel über einen Wegfall der USA als sicherheitspolitischer Partner Europas diskutiert. Was sind die wesentlichen Gründe?

Josef Braml: Der entscheidende Grund ist, dass die amtierende US-Regierung nicht nur China, sondern auch Europa – und damit die europäische Führungsmacht Deutschland – als Rivalen sieht. Sie ist darauf aus, Europa zu teilen, um es besser beherrschen zu können.

Was bedeutet das für die globale Sicherheitsarchitektur?

US-Präsident Donald Trump zerstört willentlich die von den USA geschaffene regel-basierte Weltordnung. Denn Trump und seine Sicherheits- und Wirtschaftsberater meinen, dass sie heute ohnehin nur noch Amerikas „Feinden“, allen voran China und Europa, nützt. Sie wähnen sich in einer „realistischen“ Welt, in der Unternehmen gegen Unternehmen und Staaten gegen Staaten kämpfen. In dieser auch Russlands und Chinas Geostrategen vertrauten Sichtweise haben Staaten keine Freunde, sondern nur Interessen. In diesem Nullsummendenken gibt es keine gemeinsamen Interessen: Trump denkt, er könne seine Interessen nur auf Kosten aller anderen durchsetzen.

Könnte Europa auch ohne die USA die eigene Sicherheit gewährleisten?

Nein. In der Nachkriegsordnung ist Europas Verteidigung nur komplementär im Verbund mit der Führungsmacht USA angelegt.

Was müsste dafür geschehen?

Kurzfristiges Denken könnte die Europäer dazu verleiten, das Wohlwollen Trumps erwirken zu wollen, indem sie amerikanische Rüstungsgüter kaufen, damit technologisch abhängig bleiben und zudem das amerikanische Handelsdefizit verringern helfen. Wer weiterhin den Schutz der USA beanspruchen will, muss dafür künftig mehr zahlen – und diesen Tribut nicht nur durch seinen Beitrag zur Sicherheitspolitik, sondern auch in der Handelspolitik zollen.

Strategisches Denken hingegen nimmt das neue Weltbild der US-Regierung ernst: Demnach bietet Militärmacht den „kompetitiven Wettbewerbsvorteil“ schlechthin: Sie dient dazu, um im härter werdenden internationalen Wettbewerb zu gewinnen – mit dem Recht des Stärkeren und zwangsläufig auf Kosten aller anderen Nationen. Wenn die Europäer in dieser realistischen Welt von den Amerikanern ernst genommen werden wollen, müssen sie als Europäer souveräner denken lernen.

Inwiefern? Sollte Europa eine Gegenmacht bilden?

Das heißt nicht, dass Europa die USA im Gegenzug auch als Rivalen ansehen und eine „Gegenmacht“ bilden muss. Das ist nicht zu empfehlen, allein schon, wenn man sich das militärische Machtgefälle ansieht.

Um für die eigene Sicherheit zu sorgen, sollten europäische Regierungen einen Verteidigungsfonds etablieren, um gemeinsame Rüstungsanstrengungen zu ermöglichen. Europa sollte die Drohung von US-Präsident Trump ernst nehmen, dass die USA ihren Schutzverpflichtungen gegenüber ihren europäischen Verbündeten nicht mehr nachkommen werden, wenn diese nicht bereit sind, selbst mehr Lasten zu schultern.

Gleichwohl könnten die Europäer auch in Sicherheitsfragen selbstbewusster auftreten, indem sie den Verantwortlichen in Washington erläutern, dass sich die USA seit Jahrzehnten nur deshalb ihre exorbitante Rüstung haben leisten können, weil ausländische Kreditgeber – lange Zeit China und Japan und seit der Finanzkrise 2007/2008 vermehrt die Golf- und EU-Staaten – bereit gewesen sind, die zunehmende Verschuldung privater und Staatshaushalte in den USA zu finanzieren. Mit Blick auf diese umfassendere volkswirtschaftliche Betrachtung gleicht Trumps Kritik am Außenhandelsüberschuss Deutschlands und an seiner mangelnden Bereitschaft, mehr Geld, namentlich zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung für amerikanische Rüstung, auszugeben, einer Milchjungenrechnung.

Könnte sich die Situation mit einem anderen US-Präsidenten nicht ohnehin ganz schnell wieder ändern?

Nein. Trump ist nur ein Symptom tiefer liegender struktureller Probleme der USA. Um davor zu warnen, habe ich bereits ein Jahr vor Trumps Wahl in der Erstauflage mein aktuelles Buch mit dem Titel „Trumps Amerika – Auf Kosten der Freiheit“ veröffentlicht. Bereits davor, in Obamas Amtszeit, habe ich davor gewarnt, dass „der amerikanische Patient“ aus sozialen, ökonomischen und innenpolitischen Gründen künftig nicht mehr imstande sein würde, die liberale Weltordnung aufrechtzuerhalten. Um den mit der Wirtschafts- und Finanzkrise deutlich gewordenen „drohenden Kollaps“ abzuwenden, konnten die USA nicht mehr der wohlwollende Hegemon sein, der anderen Staaten öffentliche Güter wie Sicherheit und Freihandel bietet. Im Gegenteil: Amerika hat seine Interessen viel enger definiert und Lasten, die es selber nicht mehr tragen konnte, rücksichtslos auf andere abgewälzt und damit Verbündete und Rivalen belastet.

Dr. Josef Braml ist USA-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und Autor des Buches „Trumps Amerika – Auf Kosten der Freiheit“. Aktuelle Analysen veröffentlicht er auch über seinen Blog usaexperte.com.