Ein von Präsident Joe Biden und dem Sprecher des Abgeordnetenhauses Kevin McCarthy ausgehandelter Kompromiss muss von beiden Kongresskammern bewilligt werden. Selbst eine Einigung in sprichwörtlich letzter Minute, um ein Chaos an den Finanzmärkten zu verhindern, würde jedoch ein grundlegenderes Problem nur in die Zukunft verschieben und damit vergrößern: Amerikas Schuldenlast droht außer Kontrolle zu geraten und zunehmend untragbar zu werden und könnte die US- und Weltwirtschaft gefährden. Der USA-Experte Josef Braml analysiert für The Pioneer die Szenarien eines politischen Vabanquespiels mit Auswirken für die Weltwirtschaft.
Indem die Vereinigten Staaten ihre gesetzliche Schuldengrenze von nunmehr 31,4 Billionen US-Dollar erreichen, schauen Finanzakteure weltweit gebannt auf einen weiteren parteipolitischen Showdown in Washington, der dramatische Auswirkungen auf die Finanzmärkte und Weltwirtschaft haben könnte.
Der amerikanische Kongress und US-Präsident Joe Biden müssen sich darauf einigen, die sogenannte „Schuldenobergrenze“ anzuheben (oder auszusetzen). Die Anhebung der Schuldenobergrenze sollte eigentlich eine Routineangelegenheit sein. Denn damit werden keine neuen Ausgaben genehmigt; vielmehr gibt die Legislative der Exekutive die Kreditaufnahmekapazität, die sie benötigt, um bestehende Ausgabenverpflichtungen zu erfüllen, die der Kongress selbst geschaffen hat.
Ohne weitere neue Schulden kann die US-Regierung nicht mehr ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen, um etwa die Gehälter von Staatsbediensteten, die Leistungen an Sozialversicherungsempfänger oder auch Zinsen an die Anleihegläubiger zu zahlen. Selbst die Möglichkeit eines temporären Zahlungsausfalls der Bundesregierung könnte massive Auswirkungen auf die Märkte haben.
Gleichwohl ist nunmehr absehbar, dass die Republikaner, die seit den Zwischenwahlen im November 2022 wieder über die Mehrheit im Abgeordnetenhaus verfügen, die Abstimmung über die Schuldenobergrenze blockieren werden, um Ausgabenkürzungen durchzusetzen. Damit drohen auch ein Stillstand der US-Regierung und verunsicherte Finanzmärkte. Einmal mehr stehen die international hoch verschuldeten USA – und damit auch die Welt – vor einem „fiskalischen Abgrund“.
Déjà-vu
Bereits seit über einer Dekade, seit den Zwischenwahlen 2010, haben Demokraten und Republikaner sich bei wichtigen budgetrelevanten Fragen nicht mehr auf tragfähige Kompromisse verständigen können. Viele Republikaner stehen der damals noch als „Tea Party“ bezeichneten Bewegung von Fiskalkonservativen nahe und benötigen deren Unterstützung, um wiedergewählt zu werden. Die Fiskalkonservativen betreiben jedoch seitdem Fundamentalopposition, so dass unter anderem auch schon bei der Anhebung der Schuldenobergrenze im Sommer 2011 der Kongress und das Weiße Haus, namentlich der damalige Sprecher John Boehner beziehungsweise Präsident Barack Obama, sich nicht auf einen Kompromiss einigen konnten.
Die Unfähigkeit der Politik nötigte schließlich die amerikanischen Ratingagenturen, die Kreditwürdigkeit der USA herabzustufen. So lautete die Begründung von Standard & Poor’s, dass das US-Regierungssystem „weniger stabil, ineffektiver und weniger berechenbar“ geworden sei. Die Herabstufung der Kreditwürdigkeit der Vereinigten Staaten hatte zur Folge, dass die wegen der politischen Verunsicherung bereits in Mitleidenschaft gezogenen Aktienkurse weiter abstürzten.
Das Debakel von 2011 erschütterte das Vertrauen der Märkte, trieb damit auch die Zinssätze in die Höhe und kostete die US-Steuerzahler bereits 2011 zusätzliche 1,3 Milliarden Dollar, laut den Berechnungen des Government Accountability Office. Das Bipartisan Policy Center veranschlagte die zusätzlichen Kosten über einen Zehnjahreshorizont auf rund 19 Milliarden Dollar.
Weitere Szenarien
Während es heute noch kostspieliger wäre, dieser Möglichkeit auch nur nahe zu kommen, würde ein tatsächlicher, wenn auch nur vorübergehender Zahlungsausfall noch gravierendere Folgen haben. Es ist zwar weniger wahrscheinlich, dass die aktuellen Gegenspieler, namentlich der Sprecher des Abgeordnetenhauses Kevin McCarthy und Präsident Joe Biden, ihr Land in eine längere Phase der Zahlungsunfähigkeit manövrieren, aber es ist durchaus vorstellbar, dass Republikaner und Demokraten vor Ablauf der Frist keine Einigung erzielen werden. Sollte das US-Finanzministerium mit Zahlungen für fällig werdende Wertpapiere an einzelne Anleger und mit der Einlösung von Schatzanweisungen in Verzug geraten, würden die Zinsen umso stärker steigen und der Schuldendienst dem US-Steuerzahler umso mehr kosten. Laut einer Analyse der Brookings Institution würde der Verlust der beispiellosen Sicherheit und Liquidität des Treasury-Marktes aufgrund eines Zahlungsausfalls in den nächsten zehn Jahren zu höheren Kreditkosten des Bundes in Höhe von über 750 Milliarden Dollar führen.
Die kurzfristigen Wirkungen wären nicht minder problematisch: Der Aktienindizes Dow Jones würde um Tausende von Punkten an jedem der Tage einbrechen an denen sich die Kontrahenten nicht einigen können. Nach ein oder zwei Tagen würde das sich ausbreitende Chaos an den Märkten und der damit generierte politische Druck indes dazu führen, dass der Kongress dem Präsidenten einen von beiden Kammern mit parteiübergreifenden Mehrheiten gebilligten Gesetzentwurf zur Anhebung der Schuldenobergrenze präsentiert.
Dennoch hätte die Glaubwürdigkeit der USA, nämlich ihre Vertrauenswürdigkeit als Land, das seine Schulden pünktlich bezahlt, massiv gelitten – mit möglichen noch weiter reichenden Konsequenzen: eine Gefährdung der Dollar-Herrschaft über die Weltfinanzmärkte. Ökonomen des Peterson Institute erwarten, dass eine geringere Nachfrage nach US-Staatsanleihen die Rolle des Dollars in der Weltwirtschaft merklich schwächen würde: „Diese Abschwächung der offiziellen Dollarkäufe würde wahrscheinlich die Volatilität des Dollarwertes gegenüber anderen Währungen erhöhen und die Liquidität verringern, was die Anleger dazu veranlassen würde, ihre Dollarbestände in jeglicher Form zu reduzieren.“
Mit jeder weiteren künftig möglichen Weigerung der Republikaner, die Schuldenobergrenze des Landes zu erhöhen, würden der Status des Dollars und die damit verbundenen Privilegien bedroht. Ein blockiertes politisches System, das nicht mehr in der Lage ist, Steuern zu erhöhen oder Ausgaben effektiv zu kürzen und nicht die Verantwortung für die daraus resultierende Schuldenerhöhung übernimmt, würde das Vertrauen der Anleger unterminieren.
Dollar-Herrschaft in Gefahr
Trotz seiner aktuellen Stärke dürfte der Doller auf mittlere und lange Sicht an Wert verlieren. Der Schuldenberg und die Verbindlichkeiten werden weiter anwachsen, da die Militärausgaben in der geopolitischen Rivalität mit China und die Sozialkosten im Zuge einer zunehmend alternden Gesellschaft steigen.

Entwicklung der auf Kreditmärkten öffentlich finanzierten Staatsverschuldung der USA (debt held by the public) seit 1940 bis 2052 (in Relation zum BIP). © Congressional Budget Office (CBO)
Insbesondere das Ausland hat seit Mitte der 1980er-Jahre die wachsenden Staatsschulden der USA finanziert. Doch in den vergangenen fünf Jahren reduzierte sich der Anteil des Auslandes an der Schuldenfinanzierung der USA von knapp der Hälfte auf heute nur noch ein Drittel. Das liegt zum einen daran, dass die Gesamtverschuldung hochschnellte. Zum anderen aber haben die beiden größten asiatischen Kreditgeber den USA seit 2014 merklich weniger Geld anvertraut, auch wenn Japan und China mit 1,3 bzw. 1,1 Billionen Dollar weiterhin einen Teil der Schuldenlast finanzieren. Auch die erdölproduzierenden Länder reinvestieren nicht mehr wie früher fast alle Erlöse aus ihren Ölgeschäften in den USA. Mit ihrer Zurückhaltung gefährden ausländische Kreditgeber das bisherige, auf Pump finanzierte Geschäftsmodell der Weltmacht.
Es ist mittlerweile fraglich, ob die USA ihre Schulden je werden zurückzahlen können. Dafür müssten sie ein enormes, selbst tragendes Wirtschaftswachstum generieren, das nicht mehr durch weiteres Schuldenmachen getrieben wird. Oder die USA könnten sich ihrer exorbitanten Schulden durch eine ebenso exorbitante Inflation und Abwertung ihrer Währung entledigen. Die USA stecken jedoch in einem Dilemma: Einerseits ist ihnen daran gelegen, durch lockere Geldpolitik Inflation zu begünstigen und ihre Währung zu schwächen, um Schulden loszuwerden und Vorteile beim Export zu erwirken. Andererseits stößt diese Strategie an ihre Grenzen, wenn internationale Marktteilnehmer beginnen, an der Stabilität der Währung zu zweifeln.
Viele institutionelle Anleger sichern sich bereits ab und suchen Deckung in der Anlage in Gold und in der Kategorie „andere Währungen“, zu der der kanadische und australische Dollar, der Schweizer Franken und der chinesische Renminbi gehören, die 10 Prozent der globalen Reserven ausmachen (gegenüber 2 Prozent im Jahr 2001). Aber unter den großen vier Währungen – der Vereinigten Staaten, Europas, Japans und des Vereinigten Königreichs – beansprucht „King Dollar“ immer noch den Löwenanteil von knapp 60 Prozent aller Devisenreserven – aber das ist der niedrigste Wert seit 1995.
Obschon auch Washingtons geoökonomisches Vorgehen, den Dollar als Waffe gegen unliebsame Regime einzusetzen, immer mehr autokratische Herrscher nicht zuletzt auch in Petro-Staaten dazu veranlasst, ihre Devisenreserven zu diversifizieren und ihre Handelsgeschäfte in anderen Währungen abzuwickeln, dürfte der Dollar auf absehbare Zeit relativ stark bleiben, vor allem auch wegen der Schwächen seiner potenziellen Konkurrenten: Der chinesische Renminbi ist unter anderem nicht rechtsstaatlich abgesichert und dem Euro fehlt es an politischer Unterstützung, die ihn als globale Leitwährung etablieren könnte.
Der Euro als Alternative
Obwohl der Anteil des Euro an den Währungsreserven weltweit zunimmt, gab es bislang keine Initiativen, den Euro zu einem geoökonomischen Machtmittel zu entwickeln. Europäische Staaten und institutionelle Investoren könnten ihre Kapitalreserven gewinnbringender und strategischer in den Euro und die wirtschaftliche und militärische Ertüchtigung Europas investieren als in die Finanzierung von US-Schulden, die außer Kontrolle geraten und zunehmend untragbar werden. Es entstünde auch Handlungsdruck für die Vereinigten Staaten, ihre Defizite zu reduzieren, wenn die Anleger eine attraktive Alternative zum Dollar hätten.
Voraussetzung dafür wäre jedoch ein tiefer, liquider Markt für sichere EU-Anleihen, der es globalen Anlegern ermöglicht, ihr Geld in auf Euro lautenden europäischen Bonds statt in US-Staatsanleihen zu parken. Dies würde Investitionen in die Zukunft ermöglichen und wäre hilfreich, um den Euro zu einer globalen Reservewährung zu entwickeln. Am wichtigsten ist, dass ein starker Euro die Handlungsfähigkeit der EU in einer neuen Welt(wirtschafts)ordnung sicherstellen könnte, die durch die globale geoökonomische Rivalität zwischen den Vereinigten Staaten und China gekennzeichnet ist.
Es ist das Gebot der Stunde, die politische Einheit Europas und damit auch den europäischen Wirtschafts- und Währungsraum im globalen geoökonomischen Wettbewerb zu stärken. Damit wird auch verhindert, dass die wieder anschwellenden makroökonomischen Ungleichgewichte erneut durch einen großen Schock korrigiert werden – der beim nächsten Mal nicht mehr durch den Geldsegen der Notenbanken oder durch die bereits hoch verschuldeten Regierungen aufgefangen werden kann. Seit der „letzten“ Finanz- und Wirtschaftskrise 2007/2008 haben sie damit die Probleme auf die lange Bank geschoben, indem sie durch Gelddrucken die Staatsschulden zu einem immer höheren Preis (Inflation) angehäuft haben.
Angesichts des jüngsten Inflationsanstiegs befürchten viele Ökonomen, dass wir am Ende des vermeintlich sicheren Weges an einem fiskalischen Abgrund angelangt sind. Dies- und jenseits des Atlantiks stehen die Notenbanken vor einem Dilemma: Wenn sie die Inflation laufen lassen, entwerten sie die Schulden (Forderungen der Anleger) und schmälern die Kaufkraft der Konsumenten. Hingegen riskierten sie mit merklichen Zinsanhebungen und entsprechender Verteuerung der Kredite die Wirtschaft abzuwürgen und im schlimmsten Fall sogar eine Banken- und Finanzkrise.
Dr. Josef Braml ist European Director der Trilateral Commission – einer einflussreichen globalen Plattform für den Dialog eines exklusiven Kreises politischer und wirtschaftlicher Entscheider/innen Amerikas, Europas und Asiens. Zuletzt erschien beim Verlag C.H.Beck sein Buch „Die transatlantische Illusion. Die neue Weltordnung und wie wir uns darin behaupten können“.