Regimewechsel durch Energie-Sanktionen?

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Moralisch gut nachvollziehbare, strategisch aber schlecht durchdachte Energie-Sanktionen werden „Putins Krieg“ nicht beenden. Vielmehr könnten sie sogar zu Verwerfungen im Nahen Osten und zu einem „Regime Change“ in Washington führen, warnt USA-Experte Josef Braml in einem vorausschauenden Analyse-Beitrag für The Pioneer.

Nachdem westliche Staaten, allen voran ihre Führungsmacht USA, aus gewichtigen Gründen eine direkte Konfrontation mit Russland ausgeschlossen haben, um nicht eine nukleare Auseinandersetzung zu riskieren, erscheinen Waffenlieferungen und vor allem Wirtschaftssanktionen als das effektivste Mittel, um Putin in der Ukraine zu besiegen und sogar einen Machtwechsel in Moskau zu bewirken.

Russland von Handels- und Finanzinteraktionen mit westlichen Volkswirtschaften abzuschneiden, hat der russischen Wirtschaft zweifelsohne geschadet, aber nicht so sehr, wie man erhoffte. Die Abwertung des Rubels gegenüber dem US-Dollar war geringer, als von den Sanktionsbefürwortern erwartet; mittlerweile hat sich die russische Währung sogar wieder etwas erholt. Das US-Embargo gegen russisches Öl führte vielmehr dazu, dass der Preis für Brent-Rohöl über 120 US-Dollar pro Barrel anstieg. Selbst wenn Russlands Ölexporte zurückgehen, werden damit seine Gesamteinnahmen möglicherweise nicht sinken.

Während Russlands Öl- und Gasgeschäfte – nun umso mehr mit asiatischen Abnehmern – weiterhin brummen, läuft der Wirtschaftsmotor in den USA nicht mehr rund. US-Finanzministerin Janet Yellen rät vor allem auch aus Eigeninteresse den Europäern mittlerweile davon ab, russische Öllieferungen vollständig zu boykottieren. Denn die damit verursachten höheren Ölpreise befeuern die Inflation, die die US-Notenbank zu einer restriktiveren Geldpolitik nötigt, die wiederum zu weiteren Einbrüchen an den US-Aktienmärkten und der US-Wirtschaft führen dürfte.

Moralisches Dilemma

Das Bemühen, Russlands Einnahmen zu minimieren – und ein Abwürgen der eigenen Wirtschaft zu verhindern –, bringt US-Präsident Joe Biden in ein moralisches Dilemma. Um dem „Kriegsverbrecher“ und „Mörder“ Wladimir Putin ernsthaft die Stirn bieten zu können, muss er wohl oder übel einen anderen menschenrechtsverachtenden Machthaber hofieren. Trotz des auch hierzulande von vielen Leichtgläubigen für bare Münze genommenen „Fracking“-Wunders in den USA, bleibt auf absehbare Zeit Saudi-Arabien der einzige sogenannte „Swing Producer“, der ausreichend Kapazitäten hat, bei Bedarf Erdöl kostengünstig, sehr schnell und in großen Mengen zu fördern, um damit die Preise in einen niedrigeren, für westliche Volkswirtschaften erträglichen Bereich zu drücken. Dieser Realität können sich nunmehr auch die Regierungsverantwortlichen der G7-Staaten nicht mehr entziehen – doch bislang blieb ihr Appell an die von den Machthabern in Riad angeführte OPEC unerhört, mit einer Ausweitung der Ölförderung die Preise wieder auf ein für westliche Volkswirtschaften erträgliches Maß zu reduzieren.

Der Führer der freien Welt, US-Präsident Joe Biden, der sich bislang weigerte, mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman direkt zu verhandeln, wird von seinem hohen moralischem Ross absteigen müssen, um mit einem Händedruck jenen Mann vor der Weltöffentlichkeit zu rehabilitieren, der laut US-Geheimdiensten den Auftrag für den grausamen Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi im Jahr 2018 gab und für die fortwährende Eskalation des Krieges im Jemen mitverantwortlich ist.

Eine Alternative zu Saudi-Arabien als weiterer „Swing Producer“ böte der Iran. Der Iran wäre ergiebig: Er verfügt über die weltweit drittgrößten bekannten Ölvorkommen und über die zweitgrößten nachgewiesenen Gasreserven; Ressourcen, die er aufgrund der mangelnden Infrastruktur bislang nur begrenzt nutzen kann, wofür nicht zuletzt die seit den 1980er Jahren von den USA verhängten Wirtschaftssanktionen gesorgt haben.

Es ist auch kein Geheimnis, dass neben Saudi-Arabien auch Israel (das seine Beziehungen zu Russland in der Ukraine-Krise auch nicht belasten will), bereits das Bemühen Barack Obamas um eine kooperative Lösung mit dem Iran unterminiert hat. Nach schwierigen Verhandlungen wurde das Atomabkommen mit dem Iran im Jahr 2015 unter Präsident Obama geschlossen – aber nicht vom US-Kongress ratifiziert. Es konnte deshalb von seinem Nachfolger mit einem Federstrich aufgekündigt werden.

Donald Trump machte denn auch sein Wahlversprechen wahr und kündigte es 2018 einseitig auf, und das, obwohl der Iran seine Verpflichtungen einhielt – was von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) mehrfach bestätigt wurde. Der Bruch des Atomabkommens durch die USA war ein schwerer Fehler. Er verspielte vielleicht sogar die Möglichkeit, Iran ohne einen Krieg davon abzuhalten, sich Atomwaffen zu verschaffen und damit die regionale Kräfteverteilung nachhaltig zu verschieben – das wird die Zukunft zeigen.

Selbst wenn es US-Präsident Biden gelingen sollte, trotz des massiven parteiübergreifenden Widerstandes, vor allem christlich rechter und auch jüdischer Interessengruppen, einen Deal mit Teheran zu bewerkstelligen, wäre dieser nur bis zur möglichen Widerwahl Donald Trumps gültig. Ein Einvernehmen mit dem Iran würde dieses Szenario noch wahrscheinlicher machen.

Tickende Zeitbombe

Während die Verhandlungen mit dem Iran ins Stocken geraten, spielt Israel schon seit Längerem öffentlichkeitswirksam mit dem Gedanken eines militärischen Präventivschlages gegen das iranische Atomprogramm – eine Option mit gewaltigen Risiken für Israel selbst, die regionale Stabilität und die Weltwirtschaft. Denn die Iraner haben ihrerseits schon mehrfach demonstriert, dass sie nicht ganz hilflos sind, und auch signalisiert, dass sie die Straße von Hormus dichtmachen können. Dort sind iranische Truppen stationiert, die dieses Nadelöhr sperren und damit die tägliche Lieferung von 17 Millionen Fässern Öl unterbinden könnten, was nach Einschätzung amerikanischer Sicherheitsexperten etwa einem Fünftel des globalen Ölbedarfs entspricht. Der Einsatz der sogenannten iranischen Ölwaffe würde einen weiteren merklichen Anstieg des weltweiten Ölpreises verursachen und damit insbesondere westlichen Ländern massiv schaden.

Um (welt-)wirtschaftlichen Verwerfungen vorzubeugen, welche die ohnehin schlechte Ausgangslage der Demokraten bei den US-Kongresswahlen diesen Herbst und Bidens Wiederwahlchancen in zwei Jahren weiter verschlechtern könnten, wird der US-Präsident einen „Canossagang“ antreten müssen. Der weltliche Machthaber Biden wird wohl nicht drei Tage lang kniend um Einlass flehen, aber doch noch einige Male in Riad anrufen und weitere Emissäre vorschicken müssen, bis der Kronprinz und künftige „Hüter der beiden heiligen Stätten“ des Islam, Mekka und Medina, sein Bitten vielleicht doch noch erhört.

Dr. Josef Braml ist Generalsekretär der Deutschen Gruppe der Trilateralen Kommission und Autor des Buches „Die transatlantische Illusion“, das beim Verlag C.H.Beck erschienen ist.

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