Was Europa versäumt hat

Seit dem Beginn von Putins Angriffskrieg auf die Ukraine muss Europa versuchen, sich in einer neuen Welt zu behaupten. Wie das gelingen kann, zeigen zwei eindrucksvolle Bücher. In einer Rezension für die Süddeutsche Zeitung bespricht Florian Keisinger in erster Linie das aktuelle Buch des USA-Experten Josef Braml mit dem Titel „Die transatlantische Illusion: Die neue Weltordnung und wie wir uns darin behaupten können“.

„Bramls weitsichtige Empfehlungen für eine umfassende ‚europäische Souveränität‘ sind angesichts des Ukrainekrieges aktueller denn je.“

Die politische Ordnung Europas ist eine Kriegsgeburt. Dasselbe gilt für fast alle EU-Staaten. Kriege haben Europa geprägt wie kein anderer Faktor. Die Wahrnehmung des Krieges als dem großen Zukunftsgestalter endete für die Europäer mit dem Zweiten Weltkrieg. Die Erfindung der Europäischen Union markierte einen präzedenzlosen historischen Sonderweg. Man integrierte den Nationalstaat in eine überstaatliche Ordnung, in der fortan die Konfliktregelung durch Krieg als ausgeschlossen galt. Militärisches Engagement sollte, wenn überhaupt, lediglich punktuell und als humanitäre Intervention erfolgen. Mit diesem Modell entwickelte Europa nach 1945 ein einzigartiges Laboratorium der pazifistischen Moderne – welches angesichts der Realitäten des 21. Jahrhunderts nun jedoch an seine Grenzen stößt.

Europas Sonderweg ist nun zu Ende

Denn der europäische Sonderweg der vergangenen 70 Jahre beruhte im Kern auf zwei Voraussetzungen, die heute nicht mehr gelten: die weitreichende Schutzfunktion, die die Vereinigten Staaten für Europa übernahmen, und die bilaterale Ordnung des Kalten Krieges, in der Europa keine nennenswerte Rolle spielte.

Allerspätestens der russische Überfall auf die Ukraine dürfte auch den eingefleischtesten Anhängern eines pazifistischen Europas vor Augen geführt haben, dass sich die Welt gewandelt hat. Die Vereinigten Staaten können und wollen nicht länger den Schutz der westlichen Welt übernehmen; dazu kommen mit China und Russland globale Akteure, die ebenso expansiv wie aggressiv das Konzept einer liberalen und demokratischen Weltordnung nicht nur infrage stellen, sondern auch aktiv bekämpfen.

Die Frage der Stunde lautet daher: Was muss Europa unternehmen, um sich in diesem neuen weltpolitischen Koordinatensystem zu positionieren, vorausgesetzt, es will bei der künftigen Gestaltung des Weltgeschehens noch ein Wörtchen mitreden?

Damit befassen sich zwei neue Bücher, die beide vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine abgeschlossen wurden, ohne jedoch dadurch an Aktualität einzubüßen; im Gegenteil, die darin adressierten Punkte erweisen sich jetzt als drängender denn je.

Zu vollständigen Besprechung in der Süddeutschen Zeitung