Transatlantische China-Politik – Herausforderungen für Deutschland und Europa

Deutschland sollte seine begrenzten Ressourcen darauf konzentrieren, im Schulterschluss mit der westlichen Schutzmacht USA auch Europas Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit zu verbessern – um nicht in einer absehbar bipolaren Weltordnung zum Kollateralschaden des Weltkonflikts zwischen den USA und China zu werden, analysiert der USA-Experte Josef Braml in einem Beitrag für die Zeitschrift „Die Bundeswehr“.

Corona als Inkubator geoökonomischer Rivalität

Die durch die Corona-Pandemie in Mitleidenschaft gezogene Weltwirtschaft kann sich nur wieder erholen, wenn das Virus weltweit besiegt wird – was eine globale Zusammenarbeit erfordern würde. Allerdings hat die Corona-Virus-Krise bestehende geoökonomische Rivalitäten verstärkt, insbesondere zwischen den USA und China.

Durch die Auswirkungen der Pandemie ist auch Chinas Kommunistische Partei in Gefahr geraten – weshalb sie im Innern die Debatte über das Virus unterdrückte und mit einer aggressiven Außenpolitik davon ablenkte. Ebenso benötigte US-Präsident Trump einen äußeren Feind, um zu Hause die Reihen zu schließen. Trump versuchte, vom eigenen Versagen abzulenken und seine deswegen gefährdete Wiederwahl zu retten, indem er China für die Ausbreitung des „China“-Virus in den USA verantwortlich machte. Mit ihren Schuldzuweisungen rechtfertigte die Trump-Regierung eine noch härtere Gangart gegenüber China. Die mittlerweile parteiübergreifend kritische Haltung wurde im Wahlkampf auf beiden Seiten vertreten.

Auch für die Zeit nach den Präsidentschafts- und Kongresswahlen sollten deutsche und europäische Entscheidungsträger mit einem härteren Vorgehen der USA gegenüber China rechnen, das auch Europas Wirtschaft und Außenpolitik beeinträchtigen wird. Mittlerweile artikulieren die politischen Verantwortlichen beider Parteien mit immer schärferen Worten, die merklich negativer gewordenen Haltungen ihrer Wählerinnen und Wähler gegenüber China.

Strategie der Entkoppelung statt Einbindung

Nach dem parteiübergreifenden Ansinnen Washingtons darf dem strategischen Rivalen China künftig auch nicht mehr durch wirtschaftlichen Austausch geholfen werden, ökonomisch und technologisch aufzusteigen. Vielmehr muss mit allen Mitteln verhindert werden, dass China die USA in den technologischen Schlüsselbereichen überholt. Um Chinas ökonomische und militärische Modernisierung zu drosseln, forcieren die Vereinigten Staaten anstelle der bisherigen Politik der Einbindung und Integration eine Strategie der wirtschaftlichen Entkoppelung (decoupling).

In dem immer dominanter werdenden geoökonomischen Denken der Weltmächte sind wirtschaftliche Verflechtung und weltweite Arbeitsteilung nicht mehr notwendigerweise Garant für Wohlstand und Frieden. Stattdessen werden sie zum Risiko, da Ungleichgewichte in der gegenseitigen Abhängigkeit ausgenutzt werden können. Wertschöpfungsketten und Handelsbeziehungen sind „weaponizeable“ geworden: Sie werden zum Objekt geostrategischer Ambitionen. International agierende deutsche Unternehmen sind insbesondere in das Fadenkreuz geoökonomischer Strategien der Großmächte USA und China geraten. Denn Deutschland ist eine der international verflochtensten und somit am meisten verwundbaren Volkswirtschaften der Welt.

Steigende chinesisch-amerikanische Spannungen werden nicht nur spaltende Wirkung auf multilaterale Organisationen und regionale Handelsvereinbarungen, sondern auch erhebliche Auswirkungen auf „Dual Options“-Länder wie Deutschland haben, die starke nationale Sicherheitsbeziehungen zu den USA unterhalten, aber ebenso umfangreiche wirtschaftliche Beziehungen mit den USA und China pflegen. DieKosten dieser Doppel-Strategie werden in Zukunft steigen, wie dies bereits im Technologiesektor deutlich wird.

Der transatlantische Streit um die 5G-Technologie des chinesischen Anbieters Huawei ist nur die Spitze des Eisbergs grundlegender Rivalitäten im Bereich Geo-Technologie. „Big Data“ und die Fähigkeit, große Datenmengen mit künstlicher Intelligenz für wirtschaftliche Entwicklung sowie politische und militärische Macht nutzbar zu machen, sind die eigentlichen „Game Changer“. Denn sie werden den Ausschlag darüber geben, wer im künftigen wirtschaftlichen und militärischen Wettbewerb führen und dann auch die Spielregeln, die Welt(wirtschafts)ordnung, in seinem Interesse bestimmen wird.

In dem Ringen um technopolitische Einflusssphären werden die USA den Druck auf Drittstaaten verstärken und sie vor die Wahl stellen, entweder mit Amerika oder mit China Geschäfte zu betreiben. Eine in chinesische und amerikanische Standards und Systeme zweigeteilte Welt ist die Folge.

Europa muss Farbe bekennen

Obwohl die transatlantische Wirtschafts-, und Sicherheitsgemeinschaft auch durch die künftige Biden-Regierung auf eine weitere Nagelprobe gestellt werden könnte, wie der französische Präsident Emmanuel Macron befürchtet, wären Äquidistanz zwischen den USA und China oder gar eine stärkere Annäherung an China in keinem Fall sinnvolle Optionen, allein schon wegen der Werte-Distanz zu China und der sicherheitspolitischen Abhängigkeit Europas von den USA.

Gleichwohl sollten sich Europas Entscheidungsträger auf härtere Markt-Macht-Bedingungen Amerikas einstellen, die bereits vom scheidenden Präsidenten Trump forciert worden sind. Die Vereinigten Staaten werden auch unter Bidens Führung ihre Wirtschafts- und Militärmacht als kompetitiven Wettbewerbsvorteil einsetzen; das gilt erst recht gegenüber schutzbedürftigen Ländern in Europa. Die USA werden bei Verhandlungen künftig mehr ökonomische Gegenleistungen für militärischen und sicherheitsdienstlichen Schutz fordern.

Um die in den USA parteiübergreifend immer deutlicher artikulierten Forderungen an die Verbündeten nach höheren Militärausgaben zu entkräften und für die eigene Sicherheit zu sorgen, sollten europäische Regierungen den seit 2017 bestehenden Verteidigungsfonds, den European Defence Fund (EDF), aufstocken. Die durch den EDF ermöglichten Rüstungsanstrengungen sollten damit ausgebaut werden – auch in Kooperation mit amerikanischen Unternehmen. So könnten die in Washington gehegten Befürchtungen entkräftet werden, dass Europa bei der Auftragsvergabe die USA diskriminiert, die Fähigkeiten der USA dupliziert und sich damit sicherheitspolitisch von der Schutzmacht emanzipieren will. Sie werden bereits seit Ende der 1990er Jahre in Washington gehegt und haben durch die verstärkte europäische Zusammenarbeit in Verteidigungsfragen seit 2017 zugenommen.

Im Gegenzug sollten die Europäer auch Sicherheitsgarantien einfordern. Damit die europäischen und asiatischen Alliierten in strategischer Sicht auch künftig bereit sind, ihre wirtschaftlichen Interessen, vor allem auch mit China, preiszugeben, um weiterhin Schutz von den USA zu erhalten, wird die Schutzmacht ihrerseits dafür sorgen müssen, dass die Pax Americana in den Augen der Alliierten wieder glaubwürdiger und verlässlicher wird.

Damit könnte einmal mehr die NATO gefragt sein – und wiederholt dazu aufgefordert werden, sich den neuen Sicherheitsbedingungen des 21. Jahrhunderts anzupassen. Neben einem klaren – beiderseitigen – Bekenntnis zu einer möglicherweise zu erweiternden, globalen NATO (Stichwort: „Allianz der Demokratien“) wäre auch die Aufnahme europäischer Staaten in den bislang exklusiven Club der „Five Eyes“ denkbar, in die Geheimdienstallianz, die bislang nur Australien, Kanada, Neuseeland, das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten umfasst.

Die Europäer sollten sich aber nicht nur auf die Schutzmacht USA verlassen. Worthülsen wie „strategische Unabhängigkeit“ oder „Autonomie“ kaschieren bislang nur den Mangel an Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit der EU, die dringend nötig wäre, um sich auf die neue Weltordnung einzustellen. Die Europäische Union ist in besonderem Maße anfällig für die „Teile und beherrsche“-Strategien der Großmächte, allen voran Chinas und der USA. Um ihre politische Anfälligkeit zu überwinden und ihre Handlungsfähigkeit zu verbessern und „weltpolitikfähig“ zu werden, sollte die EU in der Außen- und Sicherheitspolitik von der Illusion der Einstimmigkeit hin zu einer realistischeren Konsensfindung in Form einer qualifizierten Mehrheitsentscheidung finden. Nur ein entscheidungsfähiger europäischer Verbund gewährleistet Marktmacht und Handlungsoptionen, damit Europas Länder weiterhin selbstbestimmt wirtschaften und leben können.

Dr. Josef Braml ist USA-Experte und Generalsekretär der Deutschen Gruppe der Trilateralen Kommission. Aktuelle Analysen veröffentlicht er auch über seinen Blog „usaexperte.com“.