US-Botschafter Grenell will nationalistische Bewegungen in Europa unterstützen. Für Josef Braml ist das keine Überraschung: „Wir sollten uns darauf einstellen, dass die amtierende US-Regierung darauf aus ist, Europa zu teilen, um es besser beherrschen zu können,“ warnt der USA-Experte Braml im Interview mit Hubertus Volmer von n-tv.de.
n-tv.de: Sie haben schon vor einem Jahr gewarnt, Trump könne versuchen, „die Europäische Union zu spalten, um die handels- und währungspolitische Konkurrenz zu schwächen“. Fühlen Sie sich bestätigt?
Josef Braml: Meine schlimmsten Befürchtungen werden noch übertroffen. Mich beeindruckt allerdings die Geschwindigkeit, mit der das jetzt passiert.
Als Trump nach seinem Amtsantritt den Öl-Manager Rex Tillerson zum Außenminister machte, hieß es in Berlin erleichtert, das sei doch immerhin ein vernünftiger Mann. Seit April ist Mike Pompeo US-Außenminister. Wie vernünftig ist der?
Rex Tillerson diente Trump dazu, das State Department in Grund und Boden zu erschüttern. Er hat dafür gesorgt, dass viele Mitarbeiter gegangen sind – indem er sie aktiv entließ und indem er Verunsicherung verbreitete. Zudem wurden viele Stellen nicht mehr besetzt. Als Tillerson seinen Zweck erfüllt hatte, wurde CIA-Chef Mike Pompeo geholt, der vollständig auf Trumps Linie liegt. Der wird mit dem Restbestand des State Department keine Diplomatie mehr machen, sondern Geheimdienstarbeit mit anderen Mitteln.
Pompeo war nur ein gutes Jahr CIA-Chef. Ist er nicht besser beschrieben als Tea-Party-Politiker?
Mit dem Begriff Tea Party müssen Sie aufpassen, das klingt zu sehr nach Graswurzelbewegung. Die Tea Party ist nicht von unten gewachsen, sondern wurde von oben gedüngt durch Milliardäre wie die Brüder Charles und David Koch. Schon als Abgeordneter wurde Pompeo massiv von den beiden finanziert. Das sind Strippenzieher, die mächtiger sind als die Republikanische Partei. Die Kochs haben ein Netzwerk aufgebaut, das Politiker rasend schnell nach oben befördert. Politisch kam Pompeo aus dem Nichts. Wer von ihm Diplomatie erwartet, sollte die Betablocker absetzen.
Ein paar Monate nach Trumps Vereidigung sagte Angela Merkel, die Zeiten, „in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei“. Gehen Deutschland und Europa angemessen mit dieser Herausforderung um?
Nein. Frau Merkel hat die Situation noch sehr beschönigend dargestellt. Das war auch richtig so, sie ist schließlich die Bundeskanzlerin. Man muss zwischen den Zeilen dieses Satzes eine ganz andere Sprache lesen. Sie sagte eigentlich: Wir können uns auf Amerika überhaupt nicht mehr verlassen. Ich würde noch hinzufügen: Wir sollten uns darauf einstellen, dass die amtierende US-Regierung nicht nur China, sondern auch Europa und damit die europäische Führungsmacht als Rivalen betrachtet. Und dass sie darauf aus ist, Europa zu teilen, um es besser beherrschen zu können.
Wie plausibel ist die Hoffnung, dass Trumps „America First“-Außenpolitik eine Episode bleibt?
Das wird nicht passieren. Ich sehe da eine Kontinuität, die bis George W. Bush zurückreicht. Teilweise sind es die gleichen Leute. Trumps Sicherheitsberater John Bolton hat bereits für Bush gearbeitet. Jetzt kann er Dinge durchsetzen, von denen die damalige Außenministerin Condoleezza Rice ihn seinerzeit noch abgehalten hat.
Kann es sein, dass Trump die Europäer dazu verleitet, die Vergangenheit rosiger zu sehen als sie wirklich war?
Auf jeden Fall. Bushs Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, sein Vizepräsident Dick Cheney und auch Condoleezza Rice galten damals in Europa als Kriegstreiber. Heute erinnern wir uns mit verklärtem Blick an diese Regierung. Dabei hat sie die Entwicklung losgetreten, die uns jetzt so entsetzt. Und vergessen Sie Friedensnobelpreisträger Barack Obama nicht. Der konnte das besser mit Worten kaschieren. Aber Obama hat vieles weitergeführt, was unter George W. Bush anfing. Schon unter diesem Präsidenten ist Amerika einen knallhart realpolitischen Kurs gefahren und hat sich ein großes Stück weit von der liberalen Weltordnung verabschiedet.
Realpolitik bedeutet …
… dass US-Präsident Trump und seine Sicherheits- und Wirtschaftsberater sich in einer Welt sehen, in der Unternehmen gegen Unternehmen und Staat gegen Staat kämpft. In dieser Sicht haben Staaten keine Freunde, sondern nur Interessen. Was bei Trump noch hinzukommt, ist ein Nullsummendenken: Er meint, er könne seine Interessen nur auf Kosten aller anderen durchsetzen. Das will ich Obama nicht unterstellen. Aber auch unter Obama wurde die Kanzlerin abgehört. Auch Obama sah Deutschland als wirtschaftlichen Rivalen, den es auszuspionieren galt.
Der amerikanische Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, hat gesagt, er wolle konservative Bewegungen in Europa „ermächtigen“, also unterstützen.
Wir müssen uns von dem Gedanken verabschieden, dass Grenell ein Diplomat ist. Trump gestaltet den Staat nach innen und außen radikal um. Er baut Bereiche auf, die für ihn wichtig sind: Militär und Geheimdienste. Und er zerstört andere, die er für unwichtig hält, darunter das State Department und die Umwelt- und Verbraucherschutzbehörden. In der Öl- und in der Finanzindustrie werden staatliche Regulierungen massiv geschliffen. Nebenbei festigt er damit übrigens das Netzwerk, das seine Wiederwahl sichert. Kurzum: Trump setzt seine Weltsicht in Strukturen um. Das hat Folgen für die amerikanische Außenpolitik.
Welche Folgen sind das?
Wer meint, dass die Welt so beschaffen ist, dass jeder gegen jeden kämpft, für den spielt Diplomatie keine Rolle mehr, der muss sein Militär stärken. Die Vereinten Nationen, die Welthandelsorganisation, die Nato und all die anderen internationalen Strukturen, die die USA als liberaler Hegemon nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut haben, sind für ihn nicht wichtig. Damals haben die USA ihre Interessen noch breit definiert und andere etwas vom Kuchen abhaben lassen. Sie haben ihren Verbündeten öffentliche Güter wie Sicherheit, Freihandel und eine stabile Leitwährung gegeben, damit diese keine Gegenmacht bilden, sondern den USA folgen. Diese Ordnung hat dem Westen gut gedient. Aber es war schon in Obamas Amtszeit sichtbar, dass die Amerikaner zu schwach sind, um sie aufrecht zu erhalten. Unter Trump wird diese liberale Restordnung zerstört. Wir können Trump aber auch danken, dass er deutlich ausspricht, was früher mit diplomatischen Floskeln kaschiert wurde – und dass er uns so dazu zwingt, selbst zu denken. Jetzt ist die Zeit des transatlantischen Tralala wirklich vorbei. Ich sage das als überzeugter Transatlantiker: Wenn wir von den Amerikanern ernst genommen werden wollen, müssen wir als Europäer souveräner denken lernen.
Heißt das, dass Europa die USA im Gegenzug auch als Rivalen ansehen muss?
Das würde ich nicht empfehlen, schließlich wackelt der Schwanz nicht mit dem Hund. Aber wir müssen dafür sorgen, dass die Nationalismen in Europa, die sogar vom Weißen Haus aktiv unterstützt werden, nicht wieder hochkommen. Jetzt muss der Geburtsfehler der EU, die Bildung einer Wirtschaftsunion ohne politische Union, behoben werden. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat dazu eine Steilvorlage geboten. Die politische Union muss kommen und auf elementare Bereiche wie Haushalt und Verteidigung ausgeweitet werden. Wir brauchen innerhalb der Nato einen starken europäischen Pfeiler, der entscheidungs- und handlungsfähig ist, wenn den Amerikanern mal nicht danach sein sollte, unsere Interessen zu schützen.
Die Nationalisten, die Grenell unterstützen will, sind in vielen europäischen Ländern an Regierungen beteiligt. Mit solchen Kräften wird es schwierig, eine politische Union zu schaffen.
Es gibt Länder in der EU, die noch etwas Zeit brauchen. Ich hoffe, dass die Zauderer in Deutschland der französischen Führung folgen und wir vielleicht doch ein Kerneuropa schaffen – und den anderen Ländern die Tür aufhalten, bis sie soweit sind.
Richard Grenell sprach nicht darüber, dass er „Nationalisten“ oder „Rechtspopulisten“ helfen will, er sprach von „Konservativen“. Ist dieser Begriff zwischen Europa und den USA nicht ganz anders besetzt?
Das ist ein Teil des Problems. Europa und die USA werden häufig als Wertegemeinschaft beschrieben. Aber nehmen Sie nur das Verhältnis von Religion und Politik, das in den USA ein völlig anderes ist. Oder den Wert der Freiheit: In der guten alten Zeit war sie das Ideal, das uns gegen autokratische Staaten zusammengehalten hat. Und dennoch gibt es in den USA jetzt einen Präsidenten, der auf Kosten der Freiheit agiert. Spätestens jetzt ist offensichtlich geworden, dass es zwischen den USA und Europa sehr große Werte-Unterschiede gibt. Darüber müssen wir sprechen. Wir müssen uns mit den vernünftigen Amerikanern, die es ja auch gibt, auch unter den Konservativen, zusammensetzen, um einen transatlantischen Wertedialog zu führen – auch wenn das aus meinem Mund komisch klingen mag.
Warum klingt das aus Ihrem Mund komisch?
Weil ich seit Jahren darauf hinweise, dass Werte nicht der Kitt sind, der Europa und die USA zusammenhält, sondern der Sprengstoff, der uns auseinandernehmen könnte. Damit das nicht passiert, müssen wir über unsere Werte sprechen und dabei nicht so tun, als meinten Begriffe wie „konservativ“ und „Freiheit“ hier wie dort das Gleiche.
Mit Josef Braml sprach Hubertus Volmer
Dr. Josef Braml ist USA-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und Autor des Buches „Trumps Amerika – Auf Kosten der Freiheit“. Aktuelle Analysen veröffentlicht er auch in seinem Blog „usaexperte.com“.