Nationalistische Realisten gegen liberale Internationalisten – Unterschiedliche Weltsichten dies- und jenseits des Atlantiks

Der USA-Experte Dr. Josef Braml argumentiert, dass trotz aller Kritik an US-Präsident Trumps militär-machtzentrierter Außenpolitik und Angriffe auf die Vereinten Nationen deutsche Politik pragmatisch jene UN-Reforminitiativen der USA unterstützen soll, die im gemeinsamen transatlantischen Interesse liegen.

Die als realistisch bezeichnete, aber sozialdarwinistisch anmutende Weltsicht von US-Präsident Trump und seiner Sicherheitsberater widerspricht der in Deutschland bevorzugten liberal-internationalistischen Vorstellung einer regelbasierten Weltordnung, in der die Vereinten Nationen, das Völkerrecht und das Gleichheitsprinzip der UN-Charta eine zentrale Rolle spielen. Die Weltbilder der in Deutschland gern gesehenen liberalen Internationalisten, die vorübergehend den Ton in der US-Außenpolitik angegeben haben, und der Realisten, die nach dem Debakel des Irakkrieges im Jahre 2003 wieder dominanter geworden sind, könnten nicht unterschiedlicher sein: Liberale Internationalisten haben ein eher optimistisches Menschenbild und wollen eine friedlichere Weltordnung demokratischer Staaten schaffen sowie internationale Institutionen und Freihandel fördern; sie sind auch bereit, aus humanitären Gründen einzugreifen.

Realisten hingegen sehen die menschliche Natur skeptischer und hegen eher keine Entwicklungsperspektive. Sie haben ein rein machtpolitisch garantiertes zwischenstaatliches Arrangement im Sinn und sehen internationales Engagement viel beschränkter – nur bei Bedrohung des ‚vitalen‘ Sicherheitsinteresses oder wenn äußere Gefahr in Verzug ist. Vor allem warnen die Realisten vor einer ständigen inneren Gefahr, die eigenen politischen Ressourcen zu überdehnen. Der aktuelle innenpolitische Widerstand gegen internationales Engagement hat sich als isolationistischer Reflex an beiden Rändern des politischen Spektrums formiert. Er bedeutet Wasser auf die Mühlen der Realisten.

Trump: Die Stimme der Macht

Donald Trump war mit einer isolationistischen ‚Amerika First‘-Kampagne in das Weiße Haus eingezogen. Auch seine Sicherheitsberater verfechten einen ‚principled realism‘. Das Grundprinzip des Präsidenten entspricht keinem internationalen, völkerrechtlichen Standard, sondern einem nationalistischen Selbstverständnis: „Amerikanische Werte zu fördern ist der Schlüssel für die Verbreitung von Frieden und Wohlstand in der Welt” lautet die Grundüberzeugung der Nationalen Sicherheitsstrategie vom Dezember 2017.

In der Weltsicht Trumps trachten Staaten danach, ihre eigenen nationalen Interessen rücksichtslos durchzusetzen. Militärische Macht ist in diesem Nullsummendenken ausschlaggebend, um im härter werdenden internationalen Wettbewerb zu gewinnen – zwangsläufig auf Kosten aller anderen Nationen. Die US-Regierung unter Oberbefehlshaber Trump sieht in ihrer militärischen Machtfülle den entscheidenden Wettbewerbsvorteil und setzt deshalb auf das Recht des Stärkeren.

Dass sich der US-Präsident weniger um diplomatische Mittel bemüht, sondern die harte Macht der USA aufrüsten will, wurde bereits mit seinem ersten Haushaltsentwurf deutlich: Im Jahr 2018 sind knapp drei Milliarden US-Dollar mehr für den Heimatschutz und über 54 Milliarden US-Dollar zusätzlich für die militärische Rüstung vorgesehen. Diese enormen Summen sollen vor allem auf Kosten der Entwicklungshilfe, der Umweltschutzbehörde und des Außenministeriums gehen. Gekürzt werden auch die Zuwendungen für die Vereinten Nationen. Dies sei kein „Soft-Power-Budget“, erklärte Mick Mulvaney, der Direktor des Büros für Verwaltung und Budget der US-Regierung: „Dies ist ein Hard-Power-Budget, das mit Absicht erstellt wurde. Der Präsident will ein sehr deutliches Signal an unsere Alliierten und unsere möglichen Gegner senden, dass sie es mit einer Regierung mit starker Macht zu tun haben.“

Um Amerikas Macht zu demonstrieren, bezifferte US-Präsident Trump in seiner ersten Rede vor der UN-Generalversammlung die Militärausgaben der USA und kritisierte die Hauptbeitragslast seines Landes. Die USA, so Trump, zahlten weit mehr als gerecht ist, um die Vereinten Nationen arbeitsfähig zu halten. Und die „Ergebnisse“ rechtfertigten in keiner Weise die „Investitionen“ seines Landes, bemängelte er.

Was können wir tun?

Die deutsche und europäische Politik sollte über die seit Jahrzehnten auch im Kongress und in der US-Bevölkerung angestaute Kritik der USA gegenüber den Vereinten Nationen nicht hinwegsehen. Denn mit einer Schwächung der UN durch die USA, ihren wichtigsten Beitragszahler, wären insbesondere deutsche Interessen berührt: Da die deutsche Außenpolitik der multilateralen Grundorientierung ihrer Bevölkerung folgt, haben die Vereinten Nationen für die Bundessrepublik eine große Bedeutung.

Zu verhindern ist daher, dass sich die politischen Standpunkte und Weltsichten dies- und jenseits des Atlantiks noch weiter auseinanderentwickeln. Die deutsche Politik sollte im Blick auf einen effektiven Multilateralismus deshalb pragmatisch jene US-Reforminitiativen unterstützen, die im gemeinsamen transatlantischen Interesse liegen. Die Stabilisierung prekärer und zerfallender Staaten sollte dabei als transatlantische Sicherheitsmaßnahme angesehen werden, denn sie hilft, Terrororganisationen den Nährboden zu entziehen und den Ursachen für die regional destabilisierende Massenflucht zu begegnen.

Diese strategische Aufgabe erfordert auch eine langfristige und kooperative Arbeitsteilung zwischen NATO und UN. Mögliche Kooperationen, etwa bei der Beilegung von Konflikten und der Friedenskonsolidierung, können dazu beitragen, die USA vom Wert der Vereinten Nationen zu überzeugen. Der Verweis auf das ‚Preis-Leistungs-Verhältnis‘ kann für den ‚Geschäftsmann‘ Trump dabei gut sein: Denn die Kosten für jeden UN-Blauhelm sind im Vergleich zu denen, die pro Soldatin oder Soldat für die USA, die NATO oder andere NATO-Verbündete für Friedenseinsätze anfallen, um ein Vielfaches geringer. Und dies ist ein durchaus guter ‚Deal‘ für die USA, um mit den Worten Trumps zu argumentieren. Deutschland sollte mit gutem Beispiel vorangehen und seiner Ankündigung, mehr globale Verantwortung übernehmen zu wollen, auch im Bereich der Friedenssicherung Taten folgen lassen.

Der Beitrag wurde desweiteren veröffentlicht über Focus Online, ISPSW Strategy Series, CSS Resources Digital Library der ETH Zürich, Denkwürdigkeiten – Journal der Politisch-Militärischen Gesellschaft (PMG) und bildete die Grundlage für einen Vortrag Josef Bramls im Rahmen der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz.

Dr. Josef Braml ist USA-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und Autor des Buches „Trumps Amerika – Auf Kosten der Freiheit“. Aktuelle Analysen veröffentlicht er auch über seinen Blog „usaexperte.com“.