USA, China, Taiwan und die Auswirkungen für Europa
Nancy Pelosis Besuch hat den politischen Konflikt um Taiwan ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Inwiefern die sino-amerikanische Auseinandersetzung um Taiwan auch Europas Sicherheitsdilemma verschärft, erläutert der USA-Experte Josef Braml in einem Beitrag für The Pioneer.
Mit ihrer Visite in Taiwan hat die Sprecherin des US-Abgeordnetenhauses, Nancy Pelosi, ihren Präsidenten Joe Biden in eine schwierige diplomatische Lage gebracht. Niemand – auch nicht die Regierung in Taipeh, der sie damit einen Bärendienst erwies – hätte ihr einen ernsthaften Vorwurf gemacht, wenn sie während ihrer Asien-Reise keinen Taiwan-Besuch erwogen hätte. Da sie dies jedoch vorab öffentlichkeitswirksam in Erwägung zog und Peking erwartungsgemäß scharf darauf reagierte, hatte sie nur noch schlechte Optionen: Hätte sie aufgrund des Drucks dann doch auf einen Zwischenstopp in Taipeh verzichtet, wären ihr persönlicher innenpolitischer Gesichtsverlust und eine Schwächung des außenpolitischen Standings ihres Landes die Folge gewesen. Mit dem Festhalten an ihren Reiseplänen hat sie jedoch zur Eskalation eines schwelenden Konfliktes beigetragen und ist selbst zwischen die Fronten geraten.
Für ihr diplomatisch ungeschicktes Verhalten ist Nancy Pelosi von Freund und Feind kritisiert worden. Nicht ohne Grund versuchte US-Präsident Joe Biden, seine Parteifreundin von diesem symbolischen, gleichwohl außenpolitisch brandgefährlichen Besuch in Taiwan abzuhalten. Unisono kritisierten vor allem außenpolitisch versierte US-Kommentatoren Pelosis unbedachtes Handeln. Besonders problematisch war, dass auch die Herausgeber der Washington Post ihren Taiwan-Besuch als unüberlegte Diplomatie rügten. Hatte Pelosi doch davor in derselben Zeitung den Besuch ihrer Kongressdelegation als „unmissverständliche Erklärung“ deklariert, wonach Amerika in der globalen Auseinandersetzung zwischen Demokratien und Autokratien fest an der Seite seines demokratischen Partners Taiwan stehe.
Wenn es um ihre Kerninteressen der Souveränität und territorialen Integrität geht, haben die Chinesen hingegen einmal mehr ihre geschlossene und kompromisslose Haltung verdeutlicht. Peking drohte sogar offen damit, eine militärische Antwort zu erwägen. Es ist zu hoffen, dass es bei den Übungsmanövern bleibt und Chinas Führung nicht Pelosis Vorgehen als Vorwand nutzt, um eine dauerhaft militärisch bedrohlichere Stellung gegenüber der Insel zu beziehen.
Chinas Führung wirkt heute umso provozierter, wurde sie doch bereits im Mai dieses Jahres durch Bidens unbedachte Äußerung in Japan irritiert, wonach die USA Taiwan im Falle eines chinesischen Angriffs verteidigen würden. Unmittelbar danach wurde Bidens Aussage von seiner Entourage revidiert – aus guten Gründen: Damit hätte der US-Präsident die bisherige Politik der „Ambiguität“ preisgegeben und Pekings „Ein-China-Politik“ infrage gestellt.
Mit Washingtons Ambiguität oder strategischer Mehrdeutigkeit, soll auch verhindert werden, dass die Führung in Taipeh seine Unabhängigkeit erklärt und damit Washington in eine militärische Auseinandersetzung mit China hineinzieht. Die Insel, auf die sich die chinesischen Nationalisten 1949 nach ihrer Niederlage im Bürgerkrieg gegen die Kommunisten um Mao Zedong zurückzogen, wird von Pekings kommunistischer Führung als Teil der Volksrepublik und nicht als eigenständiger Staat gesehen.
Washingtons Anerkennung von Pekings „Ein-China-Doktrin“ war unter anderem auch der Preis, den US-Präsident Richard Nixon zu Beginn der 1970er Jahre für die pragmatische Annäherung der USA an die Volksrepublik zu zahlen hatte. Damals ging es vornehmlich darum, mithilfe des schwächeren Chinas die mächtigere Sowjetunion einzudämmen.
Sollte sich die seiner wirtschaftlichen und militärischen Macht immer bewusster werdende Volksrepublik China künftig jedoch dazu entschließen, Taiwan anzugreifen, würde auch den Europäern deutlich vor Augen geführt, dass die Zeit des Kalten Krieges vorbei ist. Den Europäern würde schlagartig klar werden, dass die Hauptinteressen der USA heute nicht mehr auf dem europäischen Kontinent liegen, sondern in der asiatisch-pazifischen Region, um der größeren Bedrohung durch China zu begegnen. Spätestens dann müssten Europas Verantwortliche aufwachen aus ihrer in der Ukraine-Krise umso mehr bemühten transatlantischen Illusion, dass Amerika wie bisher verlässlich die Sicherheit des alten Kontinents garantiert und die gleichen Interessen hat.
Zuerst wird im medialen Blätterwald sichtbar, wenn der Wind sich dreht. „Der Krieg in der Ukraine wird kompliziert, und Amerika ist nicht bereit“, titelte die New York Times bereits Mitte Mai dieses Jahres. Letzten Endes sei es „nicht im besten Interesse Amerikas“, so die Herausgeber der Zeitung, sich in einen totalen Krieg mit Russland zu stürzen, selbst wenn ein ausgehandelter Frieden die Ukraine zwingen könnte, einige schwierige Entscheidungen zu treffen.
Mangels Klarheit bei der Benennung der beabsichtigten Ziele ihres Engagements in der Ukraine, riskiere die US-Regierung nicht nur, das Interesse der Amerikaner an der Unterstützung der Ukrainer zu verlieren – die weiterhin unter dem Verlust von Menschenleben und Lebensgrundlagen leiden –, sondern gefährde auch den langfristigen Frieden und die Sicherheit auf dem europäischen Kontinent, warnte die New York Times.
Zwar seien die Amerikaner durch das Leiden der Ukraine erschüttert worden, aber die Unterstützung der US-Bevölkerung für einen Krieg im weit entfernten Europa werde nicht auf unbestimmte Zeit anhalten. Denn die Inflation sei für die amerikanischen Wählerinnen und Wähler ein viel größeres Problem als die Ukraine.
Es ist wohl auch kein Zufall, dass Thomas Friedman, ein Kolumnist der New York Times, mittlerweile über ein „tiefes Misstrauen“ amerikanischer Regierungsbeamter gegenüber der ukrainischen Führung berichtet – in einem Beitrag, in dem es eigentlich um den durch Pelosis Besuch weiter angefachten sino-amerikanischen Konflikt in der Taiwan-Frage geht.
In Washington mehren sich parteiübergreifend Stimmen die hinterfragen, ob der Konflikt im alten Europa die Weltmacht nicht allzu sehr von ihrer Hauptaufgabe in Asien ablenkt, nämlich China einzudämmen.
Wegen der raumgreifenden, nicht nur wirtschaftlich motivierten, sondern auch militärisch flankierten Aktivitäten der Volksrepublik schließen amerikanische Nachrichtendienste mittlerweile eine „heiße“, sprich militärische Konfrontation mit China nicht mehr aus. Dabei besteht auch immer die Gefahr, dass die Bedrohungswahrnehmungen beider Seiten sich in selbsterfüllende Prophezeiungen verwandeln.
In der militärisch ausgerichteten „realistischen“ Perspektive sind Staaten und ihre Regierungsvertreter häufig in einem Macht- und „Sicherheitsdilemma“ gefangen: Indem Staaten versuchen, ihre eigene Sicherheit durch Machterweiterung zu erhöhen, schüren sie das Misstrauen und die Ängste anderer Staaten und verleiten sie dazu, ihrerseits Vorkehrungen zu treffen. Das individuelle Streben, insbesondere der USA und Chinas nach Sicherheit und Macht erzeugt am Ende nur größere Unsicherheit für alle Seiten.
Deutschland und Europa sollten künftig noch größere diplomatische Anstrengungen unternehmen, um dieses „Sicherheitsdilemma“ im Verhältnis China zu verringern. Es ist problematisch, diese Aufgabe vor allem an die Vereinigten Staaten zu delegieren – deren aktuelle Herausforderungen, Geschichte und Geographie andere geopolitische Interessen nahelegen.
Pelosis unbedachte Reise könnte Taiwan selbst in die Bredouille und auch Europa in die Zwickmühle bringen. Nicht Amerika, sondern vor allem Taiwan wird die Hauptlast von Pekings absehbarer Vergeltung tragen müssen. Pekings Reaktionen könnten sukzessive erfolgen und Taiwan vor allem auch in ökonomischer Hinsicht schaden. Pekings Einsatz von wirtschaftlichen Waffen könnte wiederum dazu führen, dass auch andere Länder ihre wirtschaftlichen Beziehungen von Chinas Volkswirtschaft entkoppeln. Pekings zu erwartende Reaktion würde also Washingtons Forderungen nach „Friend Shoring“ verstärken.
Wir erfahren gerade, was es bedeutet, wenn wir uns von Volkswirtschaften entkoppeln müssen, von denen wir etwa durch Rohstoffe abhängig sind. Das ist mit Russland schon schwer genug für unsere Wirtschaft, aber mit China wäre es noch viel heftiger.
Anders als die USA, die weitaus weniger internationale Handelsbeziehungen pflegen als die Staaten Europas, können wir uns dieses von Washington forcierte Entkoppeln nicht leisten. Bereits heute bedrohen die De-Globalisierung und die damit verursachten Kosten, nicht zuletzt auch in Form von Inflation, den gesellschaftlichen Wohlstand und Zusammenhalt Europas.
Dr. Josef Braml ist USA-Experte und Autor des Buches „Die transatlantische Illusion“, das bei C.H.Beck erschienen ist.