Was geschieht nach den Kongresswahlen im Herbst 2022? Im schlimmsten Fall wird Bidens gesetzgeberische Handlungsunfähigkeit Trumps Rückkehr ins Weiße Haus ermöglichen, warnt USA-Experte Josef Braml in einem Beitrag für das Wochenmagazin Forum.
Kurz vor Jahresende versetzte ein Parteifreund, Senator Joe Manchin III aus West Virginia, der ehrgeizigen „Build Back Better“-Agenda der Biden-Regierung den Todesstoß. Das umfangreiche Paket von Klimaschutz- und Sozialleistungen, das ein zentrales Gesetzgebungsvorhaben von Joe Bidens Präsidentschaft bilden sollte, wird, wenn überhaupt, nur in abgeschwächter Form Realität werden können. Und dies, obwohl die Demokraten mit ihrer einfachen Mehrheit jetzt noch in der Lage wären, ein Blockademanöver, das sogenannte Filibuster, zu umgehen, indem sie das Vorhaben in die Haushaltsgesetzgebung verpacken. Wegen der fehlenden Geschlossenheit der Demokraten wird das Filibuster selbst nicht mit einfacher Mehrheit abgeschafft werden können. Es ermöglicht der Republikanischen Minderheit also weiterhin, gesetzliche Regelungen zu verhindern, etwa die Reform des Einwanderungssystems oder der Polizei, die den demokratischen Wählerinnen und Wählern von Biden versprochen wurden.
Ebenso kann die für das Weiterbestehen der US-Demokratie nötige Aufarbeitung des Sturms auf das Kapitol vom 6. Januar 2021 von den Republikanern im Kongress blockiert werden. Republikanische Abgeordnete und Senatoren folgen weiterhin willfährig ihrem Volkstribun Donald Trump; zwei Drittel von ihnen halten an Trumps Behauptung fest, dass die Wahl „gestohlen“ worden und Biden nicht der rechtmäßige Präsident der nicht mehr so Vereinigten Staaten sei.
Republikaner glauben an die Lüge
Umfragen zeigen, dass auch die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler der Republikaner glaubt, dass Präsident Biden nicht rechtmäßig gewählt wurde und dass etwa ein Drittel die Gewalt zur Erreichung politischer Ziele befürwortet. Wer diese Zahlen ernst nimmt, sollte nicht überrascht sein, wenn es zu weiteren Gewaltexzessen wie am 6. Januar 2021 kommen sollte, als nach Trumps Anweisung, „zu kämpfen wie der Teufel“, ein bewaffneter Mob das Kapitol stürmte, um die parlamentarische Zertifizierung von Bidens Wahlsieg zu verhindern.
Aber selbst die Ruhe vor einem weiteren möglichen Sturm lässt für die Demokraten und die Regierungsfähigkeit der Weltmacht nichts Gutes erwarten: Obwohl bei den nächsten Zwischenwahlen im November 2022 nicht das Präsidentenamt, sondern nur der Kongress – also 435 Abgeordnete des Repräsentantenhauses und ein Drittel des 100-köpfigen Senats – zur Wahl anstehen, könnte dieses Votum die legislative Handlungsunfähigkeit des amtierenden Präsidenten Biden festigen und zudem Trump gute Startchancen für dessen mögliche Wiederwahl geben.
Bis auf wenige Ausnahmen hat jeder Amtsinhaber im Weißen Haus bei den Zwischenwahlen Sitze im Kongress verloren, zumal wenn er wie Biden nur schwache Zustimmungswerte für seine Amtsführung hat. Bereits der Verlust eines weiteren Sitzes im Senat würde den Republikanern einen mächtigen Hebel an die Hand geben, um alle Pläne der Demokraten blockieren zu können. Die Rücktrittsankündigungen altgedienter Abgeordneter sind Frühindikatoren für den möglichen Verlust der ohnehin knappen Mehrheit der Demokraten in der zweiten Kongresskammer: Mittlerweile haben bereits 25 Demokraten (und nur 12 Republikaner) im Repräsentantenhaus angekündigt, dass sie keine Wiederwahl anstreben werden, darunter einige mächtige Ausschussvorsitzende.
Mit den im November 2022 bevorstehenden Wahlen wird Biden voraussichtlich den Rest seiner Fähigkeit verlieren, Gesetze zu erlassen. Insbesondere könnte Bidens Unfähigkeit, das Wahlrecht zu reformieren, sich als problematisch für die amerikanische Demokratie erweisen und seinem Herausforderer Trump Chancen für eine zweite Amtszeit geben.
Die Reform des Wahlrechts drängt, seitdem das Oberste Gericht am 25. Juni 2013 im Fall Shelby County versus Holder mit einer knappen Mehrheit von fünf gegen vier Stimmen urteilte, dass im „Lichte gegenwärtiger Bedingungen“, insbesondere aufgrund der verbesserten politischen Beteiligung von Minderheiten, eine elementare Bestimmung des Voting Rights Act, ein Meilenstein der Emanzipation, der das gleiche Wahlrecht für schwarze Bürger garantierte, überholt und damit verfassungswidrig sei. Mit anderen Worten: Weil man im Regen trocken geblieben war, wurde der Regenschirm weggeworfen. Hatten die bei Wahlen mit Diskriminierungspraktiken historisch vorbelasteten Südstaaten bis dahin der Bundesaufsicht unterstanden, so sind die Gesetzgeber seitdem aufgefordert, neue, an die heutige Zeit angepasste Kriterien zu finden, die weiterhin eine bundesstaatliche Aufsicht der von den Einzelstaaten organisierten Wahlen rechtfertigen würden.
Solange die Bundesregierung keine entsprechende Wahlrechtsreform verabschiedet, haben die Einzelstaaten freie Hand, wenn sie Minderheiten bei Wahlen wieder benachteiligen wollen. Ohne Aufsichtsrecht Washingtons müssen vor allem die den Demokraten näher stehenden afroamerikanischen Wählerinnen und Wähler damit rechnen, durch Auflagen der Einzelstaaten bei Wahlen diskriminiert zu werden, wenn sie etwa nicht die nötigen Papiere zur Wählerregistrierung vorweisen können oder die Zeit für die Stimmabgabe oder die Möglichkeit der Briefwahl eingeschränkt wird.
Im vergangenen Jahr haben republikanische Gesetzgeber in 41 Bundesstaaten bereits Hunderte von Gesetzesvorlagen vorgeschlagen und fast drei Dutzend Gesetze verabschiedet, die die einzelstaatlichen Gesetzgeber ermächtigen, Wahlen zu ihren Gunsten zu manipulieren. Unter anderem sollten professionelle Wahlbeamte durch Parteiaktivisten ersetzt werden, die ein Interesse daran haben, dass ihr Kandidat gewinnt. Viele dieser Gesetze sind in entscheidenden „battleground states“ wie Arizona, Wisconsin, Georgia und Pennsylvania vorgeschlagen und verabschiedet worden. Ohnehin war, bei näherer Betrachtung, Bidens Wahlsieg hauchdünn. Trump fehlten in Georgia, Arizona und Wisconsin, den Staaten mit den knappsten Wahlausgängen, zusammengenommen weniger als 45.000 Stimmen, um die Wahl doch noch für sich zu entscheiden.
Partei setzt auf Trump-Loyalisten
Bereits nach der Wahl 2020 hatte es die Trump-Kampagne auf diese Staaten abgesehen, indem sie Nachzählungen einklagte und Beamte einzuschüchtern versuchte, um „fehlende“ Stimmen zu finden. Dank der Integrität der Wahlbeamten scheiterten diese Bemühungen. Viele dieser Beamten wurden seitdem aus dem Amt gedrängt und durch Trump-Anhänger ersetzt, die offen behaupten, dass die letzte Wahl betrügerisch war.
Auch in Washington werden die Republikaner auf Trump-Linie gebracht: Nach den Zwischenwahlen im November 2022 werden nur wenige Republikaner im Amt bleiben, die für Trumps Amtsenthebung wegen seiner Handlungen nach seiner Wahlniederlage gestimmt haben. Nach Säuberungen in den Parteivorwahlen wird der interne Widerstand gegen Trump noch schwächer sein. Selbst wenn er – wegen möglicher strafrechtlicher Verurteilungen – bei den Präsidentschaftswahlen 2024 nicht selbst kandidieren sollte, stünden Populisten nach Trumps Ebenbild wie Floridas Gouverneur Ron DeSantis in den Startlöchern.
Das sind keine guten Nachrichten für ein Land wie Deutschland, das seine Sicherheit in die Hände Washingtons gegeben hat. Andere republikanische Kandidaten könnten noch herausfordernder für Deutschland und Europa sein. Bleibt es bei der sicherheitspolitischen Abhängigkeit Europas von den USA, dann machen wir uns in der Konsequenz abhängig von den höchst volatilen Ergebnissen der amerikanischen Präsidentschaftswahlen. Es ist höchste Zeit, für Regierungsverantwortliche in Deutschland und Europa, mehr in die eigene Sicherheit zu investieren.
Dr. Josef Braml ist Generalsekretär der Deutschen Gruppe der Trilateralen Kommission – einer Plattform für den Dialog politischer und wirtschaftlicher Entscheider Amerikas, Europas und Asiens zur kooperativen Lösung geopolitischer, wirtschaftlicher und sozialer Probleme. Aktuelle Analysen veröffentlicht er auch über seinen Blog „usaexperte.com“.