USA nach der Wahl: Kein Tauwetter in Sicht

Deutschland und die Europäer stellen sich auf Joe Biden als neuen amerikanischen Präsidenten ein. Doch die Hoffnungen, die mit dem Abgang Donald Trumps verbunden sind, dürften sich als trügerisch erweisen. Die großen Konflikte haben erst begonnen, analysiert der USA-Experte Josef Braml in einem Gastbeitrag für Cicero Online.

Das Warten Amerikas und der restlichen Welt auf die endgültige Entscheidung der US-Wahlen hat ein Ende. Zwei Ergebnisse stehen fest: Joe Biden ist neuer Präsident der USA. Und die Vereinigten Staaten von Amerika sind noch uneiniger geworden – selbst im Hinblick auf demokratische Grundwerte und Gepflogenheiten. Doch bereits vor der Amtsübernahme Donald Trumps war die US-Gesellschaft gespalten. Auch das politische System der USA ist seit Längerem schon polarisiert und blockiert und nicht mehr in der Lage, gravierende Probleme des Landes zu lösen.

Vor allem auch wegen der daraus resultierenden Unzufriedenheit und Verdrossenheit vieler Amerikanerinnen und Amerikaner mit der etablierten Politik konnte ein Außenseiter wie Trump überhaupt erst ins Weiße Haus gelangen und wäre bei diesem denkbar knappen Wahlausgang um ein Haar sogar wiedergewählt worden. Trump ist also nur ein Symptom tieferliegender struktureller Probleme, die von ihm seit seiner Amtsübernahme noch verschärft wurden und das Regieren seines Nachfolgers Joe Biden massiv beeinträchtigen werden.

Abgesehen von Trumps Unfähigkeit als Krisenmanager, hat die Corona-Pandemie auch die schon seit Längerem bestehenden sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten in den USA gnadenlos offengelegt. Während viele Amerikaner, vor allem Afroamerikaner und Latinos, ums wirtschaftliche Überleben kämpfen, feiern die Anleger an den US-Aktienmärkten hingegen weiterhin Höchststände und bleiben bislang von den düsteren Wirtschaftsnachrichten mehr oder weniger unbehelligt.

Düstere wirtschaftliche Lage

Zwar wurde der durch Corona bedingte enorme Einbruch, um ein Drittel der Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal, nun im dritten Quartal wieder korrigiert. Ebenso näheren viele kurzfristige makroökonomische Indikatoren, etwa die Einkaufsmanager-Indizes des verarbeitenden Gewerbes (PMIs) oder die wöchentlichen Arbeitslosenmeldungen, immer noch die Hoffnung auf eine V-förmige Erholung. Diese setzt aber voraus, dass die großen Volkswirtschaften nicht gezwungen werden, wieder zu schließen. Angesichts der weiterhin alarmierenden Infektionszahlen, vor allem in den USA, ist es jedoch nur eine Frage der Zeit, bis weltweit die Aktienmärkte die düstere wirtschaftliche Lage der Realwirtschaft widerspiegeln. Auch die US-Notenbank Fed ist besorgt, dass die höheren Infektionszahlen eine wirtschaftliche Erholung vereiteln könnten.

Bisher scheinen die Finanzmärkte mit der baldigen Entdeckung eines Impfstoffs und mit anhaltenden staatlichen Konjunkturprogrammen zu rechnen. Die Unfähigkeit der US-Politiker, einen Konsens über künftige Konjunkturmaßnahmen zu erzielen, könnte jedoch die optimistische Marktstimmung dämpfen. Nachdem sich Demokraten und Republikaner im Kongress mit dem Weißen Haus bislang nicht darauf einigen konnten, wie und in welchem Umfang etwa die Arbeitslosenunterstützung verlängert werden kann, verlieren Millionen von US-Haushalten ihre Existenzgrundlage, das Rettungsboot, das sie in den vergangenen vier Monaten über Wasser gehalten hatte. Die politische Lage bleibt schwierig, zumal in einer auch künftig „geteilten Regierung“ – in der das Weiße Haus und die beiden Kammern im Kongress, das Abgeordnetenhaus und der Senat, auch nach den Wahlen voraussichtlich wieder von unterschiedlichen Parteien regiert werden.

Transatlantische Konflikte

Europäische Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft sollten den Ernst der prekären Lage in den USA und deren Auswirkungen erkennen: Wegen ihrer durch die Pandemie verschärften wirtschaftlichen Notlage und enormen Verschuldung werden die USA – auch unter der künftigen Regierung Joe Bidens – umso mehr versuchen, aus der ökonomischen und insbesondere militärischen Abhängigkeit ihrer Verbündeten in Europa und Asien Kapital zu schlagen. 

Die europäischen Verbündeten sollten sich vergegenwärtigen, dass Trump bestehende transatlantische Konflikte in der Sicherheits- und Handelspolitik „nur“ verschärft hat. Bereits in der Obama-Regierung, in der Biden schon als Vizepräsident vor allem auch für außenpolitische Dossiers mitverantwortlich zeichnete, gab es eine Brandrede des damaligen Verteidigungsministers Bob Gates, der die Europäer davor warnte, dass die US-Bevölkerung und ihre Repräsentanten im Kongress künftig nicht mehr bereit sein würden, die Sicherheitslasten für die Alliierten zu schultern und Europa mehr Verantwortung für Lastenteilung übernehmen sollte. Bereits auf dem Gipfel in Wales 2014 beschlossen die Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitgliedsstaaten, dass sie „darauf abzielen, sich innerhalb von zehn Jahren auf den Richtwert von zwei Prozent zuzubewegen“.

Ebenso kritisierte bereits in Obamas Amtszeit die US-Administration China und Deutschland wegen ihrer Exportstärke und versuchte, Leistungsbilanzüberschüsse auf vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts festzulegen. Durch geschickte Diplomatie, insbesondere durch den Schulterschluss mit Peking, konnte Bundeskanzlerin Angela Merkel seinerzeit, etwa beim G20-Gipfel in Südkorea im November 2010, ausnutzen, dass die Welt der Belehrungen der USA überdrüssig war, und daran erinnern, dass es das Finanzgebaren der USA war, welches die globale Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 ausgelöst hatte. 

Knapper werdende Ressourcen

Mittlerweile haben sich im Zuge der Corona-Pandemie die ökonomischen Auseinandersetzungen um noch knapper werdende Ressourcen verschärft in eine geoökonomische Rivalität, vor allem zwischen den USA und China – mit massiven Auswirkungen auf Deutschland und Europa. Das geoökonomische Denken in den USA wird auch unter der neuen Biden-Administration Wirkmacht entfalten: Die US-Regierung wird weiterhin Daten-, Handels-, Energie- und Finanzströme managen oder manipulieren – insbesondere durch (Sekundär)-Sanktionen. Das Spiel der Kräfte auf sogenannten freien Märkten tritt noch mehr in den Hintergrund und wird von den USA nur solange akzeptiert, wie es dem politischen Ziel geostrategischer Dominanz dient.

Vor allem im Technologiesektor, zum Beispiel im Fall von 5G/Huawei, werden die USA auch gegenüber ihren Verbündeten unnachgiebig bleiben: Im Ringen um technologiepolitische Einflusssphären, bei dem die künftige wirtschaftliche und militärische Vormachtstellung auf dem Spiel steht, werden die USA den Druck auf Drittstaaten wie Deutschland verstärken und sie vor die Wahl stellen, entweder mit Amerika oder mit China Geschäfte zu betreiben. Eine in chinesische und amerikanische Standards und Systeme zweigeteilte Welt ist die Folge. 

Allein schon wegen der Wertedistanz zu China und der sicherheitspolitischen Abhängigkeit Deutschlands und Europas von den USA wären Äquidistanz zwischen den USA und China oder gar eine stärkere Annäherung an China in keinem Fall sinnvolle Optionen. 

Bipolare Weltordnung

Um in einer drohenden bipolaren Weltordnung nicht zum Kollateralschaden des verschärften, alles andere unterordnenden Weltkonflikts zwischen den USA und China zu werden, wäre Deutschland indes auch gut beraten, im Schulterschluss mit Frankreich und weiteren zukunftsorientierten Ländern, Europas Wirtschafts- und Währungsunion durch eine politische Union zu finalisieren. Die Europäische Union ist in besonderem Maße anfällig für die „Teile und beherrsche“-Strategien der Großmächte, allen voran Chinas und der USA. Um ihre politische Anfälligkeit zu überwinden und ihre Handlungsfähigkeit zu verbessern und „weltpolitikfähig“ zu werden, sollte die EU in der Außen- und Sicherheitspolitik von der Illusion der Einstimmigkeit hin zu einer realistischeren Konsensfindung in Form einer qualifizierten Mehrheitsentscheidung finden.

Dr. Josef Braml ist USA-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und Autor des Buches „Trumps Amerika – Auf Kosten der Freiheit“. Aktuelle Analysen veröffentlicht er auch über seinen Blog „usaexperte.com“.