Trumps Richter-Kandidat unter Druck

Versuchte Vergewaltigung? Der Vorwurf gegen den Kandidaten für den Obersten Gerichtshof, Brett Kavanaugh, wiegt schwer. Auch für Trump stehe viel auf dem Spiel, sagt USA-Experte Josef Braml im Interview mit ZDF heute.de.

heute.de: Vergewaltigungsvorwürfe gegen den Topjuristen Brett Kavanaugh bringen Donald Trumps Favoriten für den frei werdenden Richterposten am Obersten Gericht der USA in Bedrängnis. Zwar weist Kavanaugh die Anschuldigungen weit von sich, aber die Diskussion um ihn ist in vollem Gang. Gerät er vor der schon sicher geglaubten Berufung ins Straucheln?

Josef Braml: Kavanaugh steht jetzt unter immensem öffentlichem Druck. Möglicherweise zieht er sich selbst aus dem Rennen um den Posten am Obersten Gericht zurück, wenn der Wirbel zu groß wird. Die Vorwürfe sind – unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt – mit Sicherheit schwer wegzustecken für ihn, seine Frau und seine Kinder. Ich glaube dagegen nicht, dass US-Präsident Trump seinen Kandidaten zurückzieht. Im Gegenteil: Er wird eine Schmutzkampagne der Demokraten dahinter vermuten. Aus Trumps Sicht wollen linke Kräfte mit allen – auch illegitimen – Mitteln verhindern, dass er mit Kavanaugh den konservativen Flügel im Supreme Court stärkt.

heute.de: Warum ist die Ernennung der Richter am US-Verfassungsgericht so ein hochpolitischer Akt und immer wieder mit heftigem Ringen verbunden?

Braml: Die Richter des Supreme Court haben durch ihre Urteile einen enormen Einfluss auf die US-Politik – mit weitreichenden Folgen für Amerika und die Welt. Mit der Ernennung von Kavanaugh will Trump eine Reihe von sozialen und wirtschaftlichen Grundsatzfragen im Sinne seiner erzkonservativen Unterstützer mitentscheiden. Im Wahlkampf sicherte Trump christlich rechten Wählern zu, als Präsident nur von ihnen gebilligte Richter für das Oberste Gericht zu nominieren. Gelänge es nun, mit Kavanaugh eine konservative Mehrheit im neunköpfigen Supreme Court herbeizuführen, soll zum Beispiel das seit 1973 geltende Abtreibungsrecht für Frauen eingeschränkt werden. Zudem hat sich Kavanaugh im Lauf seiner juristischen Karriere immer wieder gegen staatliche Eingriffe in wirtschaftliche Belange ausgesprochen. Das berührt auch den Verbraucher- oder Umweltschutz und weckt weitere Befürchtungen.

heute.de: Welche?

Braml: Es herrscht die Sorge, dass Trump über die Judikative seinen angestrebten Staatsabbau forcieren will. Schon mit Richter Neil Gorsuch hat der US-Präsident im vergangenen Jahr einen regulierungsfeindlichen Mitstreiter im Obersten Gericht lanciert. Es wird befürchtet, dass das nötige demokratische Korrektiv unabhängiger Wächter geschwächt wird – und letztlich auch mittels höchstrichterlicher Entscheidungen Sozial- und Verwaltungsstaat völlig ausgehöhlt werden.

heute.de: Kavanaugh hat sich dagegen bemüht, seine Neutralität zu betonen. Er sei ein „unabhängiger Richter“, nicht Trumps Diener. Bei ihm gelte der Grundsatz: „Wer die rechtlichen Argumente auf seiner Seite hat, der gewinnt.“

Braml: Hätte er neulich bei seiner Anhörung vor dem US-Senat etwas anderes verlauten lassen, hätte mich das auch sehr gewundert. Er musste sich dort ja auch seinen Kritikern stellen. Festzuhalten bleibt, dass er zum Beispiel einer Antwort auf die Frage auswich, ob die strafrechtliche Verfolgung eines amtierenden Präsidenten möglich sein sollte. Auch deshalb zweifeln viele Trump-Gegner an der tatsächlichen Unabhängigkeit des Richters Kavanaugh. Sie befürchten stattdessen, dass der Supreme Court mit Kavanaugh eine Wiederwahl Trumps befördern könnte.

heute.de: Wodurch sollte dem Verfassungsgericht dies gelingen?

Braml: Durch eine Reihe von Maßnahmen: Letztlich entscheiden die Richter darüber, wie viel Macht der Präsident hat und welche Grenzen ihm der US-Kongress setzen darf. Die Richter bestimmen also die Kräfteverhältnisse im US-System der „checks and balances“, der konkurrierenden und sich damit gegenseitig kontrollierenden politischen Gewalten. Konkret heißt das, dass Kavanaugh als Richter des Supreme Cour zum Beispiel darüber mitentscheiden könnte, ob der Sonderermittler in der Russland-Affäre Robert Mueller oder der Kongress Trump zu einer eidesstattlichen Aussage nötigen könnte.

heute.de: Was geschieht, wenn Kavanaugh angesichts der aktuellen Vorwürfe doch nicht als Richter zum Supreme Court berufen werden sollte?

Braml: Dann hat Trump noch viele weitere Kandidaten auf seiner Liste, die ähnlich gestrickt sind wie Kavanaugh. Die Versuche des US-Präsidenten, seine Macht auch in die Judikative auszudehnen, wären also nicht durch einen möglichen Rückzug Kavanaughs zum Scheitern verurteilt. Trump hat sich vorgenommen, das politische System der USA radikal zu verändern, und er wird nicht aufhören zu versuchen, den Supreme Court, Amerikas höchste Autorität für Grundsatzentscheidungen, auf seine Linie zu bringen.

Das Interview führte Marcel Burkhardt.

Dr. Josef Braml ist USA-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und Autor des Buches „Trumps Amerika – Auf Kosten der Freiheit“. Aktuelle Analysen veröffentlicht er auch über seinen Blog usaexperte.com.